Triftbrücke und Triftschlucht

Was für ein Gefühl, in hundert Metern Höhe über der Schlucht zu schweben, unter den Füssen den Wildbach zu wissen und den Gletscher im Blick zu haben. Das Erlebnis gibt es auf der Triftbrücke, eine der eindrucksvollsten Hängebrücken der Alpen.

Schreck, ist das hoch. Und luftig. Vorsichtig setze ich einen Fuss vor den anderen, ab und zu wage ich einen Blick über das Brückengeländer. Unter mir schäumt das Triftwasser, rechterhand posiert der Triftgletscher mit seinem See. Ich schaukle auf der Trifthängebrücke, ein einmaliges Erlebnis und eine kleine Mutprobe dazu. Mit ihren 170 Metern Länge und 100 Metern Höhe ist die Seilbrücke eine der spektakulärsten der Alpen, und eine der bekanntesten. So wundert es nicht, hat sich heutefrüh das Postauto bei der Haltstelle Trift bahn schlagartig geleert. Wanderer, Alpinisten und Touristenstürmten die kleine Kraft werksbahn, die gerade mal 40 Personen pro Stunde zur Unteren Trift befördert, wo die Bergtour zur Hängebrücke startet. Gut, können die Plätze online vorbestellt werden. Ansonsten steht man sich an der Talstation die Beine in den Bauch.

Berge mit Tannenwäldern bei Sonnenschein
Ob mit dem Bähnli oder zu Fuss: Durch die Triftschlucht geht es hoch zur Underi Trift.

Der einsame Bergweg durch die wilde Triftschlucht startet im Weiler Fuhren

Ich war der Einzige, der im Postauto sitzen blieb. Die Hängebrücke gibt es auch ohne Bähnlirummel zu haben; der einsame Bergweg durch die wilde Triftschlucht startet im Weiler Fuhren. Rasch rückt die Sustenpassstrasse in den Hintergrund, stattdessen sorgen ein munterer Bergbach und eine Herde Rinder mit ihrem Glockengebimmel für Bergidylle. Dazu kommt die Sicht auf das Gadmertal und die Bergkette zwischen Tällistock und Titlis, wegen ihrer Form als Gadmer Dolomiten bezeichnet. Der Vergleich mit den Südtiroler Berühmtheiten mag kühn erscheinen, doch eine gewisse Ähnlichkeit ist nicht von der Hand zu weisen. Schaftellouwi heisst der Steilhang, der dem Wanderer die Herrlichkeit beschert. Dafür fordert er beherzten Tritt und viele Schweisstropfen.

reisender Bergbach im Sommer
Treuer Begleiter: Das Triftwasser im Aufstieg zur Hängebrücke und dem Triftsee.

Die Szenerie ändert nach der ersten Wanderstunde abrupt. Wie durch ein Tor betritt man die Welt der Triftschlucht, hier führen Abgründe und Tobel das Zepter. Nahezu 500 Meter geht es bei der Horigchälen neben dem Weg in die Tiefe, der Beese Graben hält wenig später ebenfalls, was er verspricht. Das Schild, das vor Murggängen und Steinschlag warnt und zu zügigem Schritt rät, sollte man ernst nehmen. Ein Blick in die Höhe sei trotzdem gestattet. Dort schweben jene über des Wanderers Kopf, die für den Aufstieg die kleine rote Gondel gewählt haben.

Gletscher auf dem Berg im Sommer
Ganz schön eindrücklich: Ausblick auf den Triftgletscher im Aufstieg zur Windegghütte.

Der Triftgletscher auf raschem Rückzug

Bei der Bergstation treffen sie aufeinander, der Schluchtenwanderer und die Seilbahnfahrer. Es sind viele, die sich auf den weiteren Weg ins enge Tal machen, um die Hängebrücke zu sehen und hundert Meter über dem Abgrund zu schweben. Die Trift brücke ist seit der Eröffnung 2004 ein beliebtes Ausflugsziel. Ihr Bau wurde nötig, um das Überleben der Trifthütte zu sichern. Der Hüttenweg führte ursprünglich über den Triftgletscher. Die Klimaveränderung setzte dem Eispanzer aber dermassen zu, dass er sich allein zwischen 2002 und 2005 um 500 Meter zurückzog. Wo vor zwanzig Jahren noch die Gletscherzunge lag, breitet sich heute ein riesiger Gletschersee aus. Eine einfache Hängebrücke sollte es richten, zudem gaben die Kraft werke Oberhasli ihre Werkbahn für Publikumsfahrten frei.
Die Planer hatten die Rechnung ohne die Ausflügler gemacht. Bald einmal tummelte sich Krethi und Plethi im einsamen Tal, schlecht ausgerüstet und mit den anspruchsvollen Brückenzugängen und der stark schwankenden Brücke überfordert. Lange schauten die Verantwortlichen dem Treiben nicht zu. Im Frühjahr 2009 war eine neue Brücke fertiggestellt. Sie ist einfacher zugänglich, gerät dank seitlichen Verstrebungen kaum in Bewegung und ist erst noch 30 Meter höher und 70 Meter länger als die alte.

Die Windegghütte im Sommer bei Sonnenschein
Gemütlich und mit gutem Essen: die Windegghütte.

Auf dem Chetteliweg zur Windegghütte

Der Tag ist weit fortgeschritten, als ich auf der Triftbrücke stehe. Nach vier Uhr hat man sie ganz für sich, die Tagestouristen sind längst auf dem Rückweg. Zauberhaft ist die Ruhe in der unberührten Landschaft . Schwer vorzustellen, wie es hier aussehen wird, sollte der Gletschersee tatsächlich zum Stausee umgebaut werden, um die Wassermassen zur Stromerzeugung zu nutzen. Noch ist das Zukunftsmusik. Meine Realität für die letzte halbe Wanderstunde heisst «Chetteliweg». Eine Sicherungskette nach der anderen leitet zu Kaffee, Kuchen, Gemüsespaghetti und Bett in die Windegghütte. Wem das Chetteligehen zu anspruchs vollist, wählt den einfacheren Familienweg.

Rundumsicht auf Haslital, Grimselgebiet und Wetterhorn

Das reichhaltige Hüttenfrühstück schätzt man am zweiten Wandertag sehr. Der Aufstieg auf den Furtwangsattel dauert zwar «nur» zweieinhalb Stunden, der Weg hat es jedoch in sich. Bis zum fotogenen Tälliseeli kann man sich im einfachen Geröllwandern üben, danach geht es richtig zur Sache. Über kleine und grosse Gesteinsbrocken kraxele ich dem 2560 Meter hohen Pass entgegen, hinter meinem Rücken sagen der Bergsee und die Gletscherarena leise Tschüss. Der Furtwangsattel ist der einfachste Übergang von der Trift zur Aussenwelt – schön zu wissen, wenn man endlich oben steht und staunt ob der Rundumsicht auf Haslital, Grimselgebiet und Wetterhorn. 1500 Höhenmeter weiter unten schlummert Guttannen unter der Mittagssonne. Ist man nach zweieinhalb Stunden Zickzack-Abstieg unten, gibt es nur noch eines: Beine ausstrecken und entspannen.

Eine Passhöhe im Sommer mit Wanderweg
Der Pass ist geschafft, vom Furtwangsattel geht’s anschliessend steil hinunter nach Guttannen

Tipps und Informationen zur Wanderung Triftbrücke und Triftschlucht

Wanderroute: Gadmen Fuhren–Schaftellouwi–Underi Trift–Bosslis Stein–Triftbrücke–Windegghütte (Übernachtung)–Tälliseewli–Furtwangsattel–Wysstanni–Guttannen.
Varianten: Statt zu Fuss mit der Seilbahn nach Underi Trift, spart knapp zwei Stunden. Fahrausweise online kaufen, um lange Wartezeiten zu vermeiden (www.grimselwelt.ch). Von der Triftbrücke statt auf dem spektakulären, gesicherten Chetteliweg auf dem einfachen Familienweg zur Windegghütte. Verzichtet man auf den Furtwangsattel, lässt sich die Brücke in einem Tag entdecken.
Anforderungen: Die Bergwanderung erfordert Kondition, sicheren Tritt und stabiles Schuhwerk. Der Weg ist gut markiert und bestens unterhalten, schwierige Stellen sind gesichert. Der Aufstieg von Fuhren via Triftbrücke zur Windegghütte dauert gut vier Stunden, der anschliessende Übergang über den Furtwangsattel nach Guttannen gut fünf Stunden. Achtung: 1500 Höhenmeter Abstieg.
An- und Rückreise: Mit Zug und Bus über Meiringen und Innertkirchen nach Gadmen Fuhren. Zurück ab Guttannen Post nach Meiringen.
Einkehr und Übernachtung: Gasthäuser in Gadmen und Guttannen, Getränke und Snacks bei der Bergstation Triftbahn. Übernachtung mit Halbpension in der SAC Windegghütte. Reservation: Tel. 033 975 11 10 oder www.windegghuette.ch
Karten: Swisstop-Wanderkarten 1:50 000, Blatt Sustenpass (255T); Swisstopo-Landeskarte 1:25 000, Blätter Innertkirchen (1210) und Guttannen (1230).

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NATURZYT Ausgabe September 2022, Text Daniel Fleuti, Fotos Daniel Fleuti

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