Blumenweise im Sommer auf dem Gantrisch

Einer Zahnreihe gleich ragt die Gantrischkette in den Himmel. Ihre Gipfel versprechen versierten Bergstürmern ein wunderbares Panorama. Blumenliebhaber wiederum können sich an der bunten Pracht kaum sattsehen. Der Naturpark Gantrisch bietet alles für einen gelungenen Wandertag.

Da soll noch einer sagen, Wanderungen in den Voralpen seien einfach. Wir hangeln uns von einer Felsstufe zur nächsten den immer steiler werdenden Bergrücken empor, die linke Hand umfasst dankend das bestens fixierte Drahtseil, die rechte tastet ab, ob die nächste Stufe hält. Dreht man den Kopf ein wenig zu Seite, bestätigt sich, was man ahnt: Gleich neben dem «Weg» geht’s flugs in die Tiefe, über einen Grashang, der aussieht wie eine lange Rutschbahn. «Vorsicht» hatte das gelbe Wanderwegschild weiter unten gewarnt; jetzt wissen wir warum.

Leiterepass ein Bergweg in grüner Natur
Im Aufsteig zum Leiterepass.

Zehn Minuten dauert die Kraxelei, dann ist der Berg bezwungen. Gantrisch heisst er, für die Berner der «Gäntu». 2176 Meter hoch, Namensgeber der Region und des regionalen Naturparks, der sich um deren Weiterentwicklung kümmert. Für einen Voralpengipfel ist der Gantrisch eine imposante Erscheinung: ein steiler Zahn mit elegant geschwungenen Flanken, reichlich Runsen, schmalen Rippen und einem breiten, felsigen Gipfelaufbau – wie seine Nachbarn auch. Bürgle, Ochse und Nüneneflue heissen sie; sie gehören zu einer lange Bergkette, die beim Stockhorn ihren Abschluss findet. Nebst den Bergen interessieren uns die Pässe, die dazwischen liegen. Den Leiterepass und den Morgetepass haben wir uns vorgenommen, der eine links, der andere rechts des Gäntu. So lässt sich der Berg umrunden und von jeder Seite bewundern. Eine gelungene Sache, wie sich bald zeigen wird.

Aussteigen auf dem Gurnigel bei Wasserscheidi

Auf dem Gurnigel, bei der Wasserscheidi, entlässt uns das Postauto in die Freiheit. Die Fahrt von Thurnen auf den 1600 Meter hohen Pass war lang und kurvenreich. Das weiss die Rennfahrerszene zu schätzen. Jeweils im September jagen die Rennwagen im atemberaubenden Tempo den Pass hoch, am ältesten Bergrennen Europas. Zu den übrigen Zeiten gehört der Gurnigel den Ausflüglern und Wanderern. Es sind nicht wenige, auf dem Parkplatz bei der Wasserscheidi stehen die Autos dicht an dicht. Kein Wunder: Bern und Thun sind nicht weit, zudem findet man hier Weite, Ruhe und unverfälschte Natur. An Frische hingegen mangelt es heute. Die Sonne heizt schon frühmorgens ein, über dem Gantrisch sammeln sich erste Quellwolken. Sie werden uns noch ausgiebig beschäftigen. Erst einmal ist gemütliches Einlaufen angesagt. Ein Fahrweg bringt uns mit gewaltiger Fernsicht aufsStockental und Richtung Th urnersee zur Alp Obernünenen.Der Bach, den wir vor der Alp queren, ist die Gürbe. Sie entspringt am Fusse des Gantrisch und mündet nach ihrer Reise durchs Gürbetal bei Bern in die Aare. Aare. Baden. Davon können wir nur träumen.

Grüne uns saftige Bergwiesen vor dem Gantrisch
Der Gantrisch spielt bereits am Morgen mit den Wolken.

Erst einmal wird im Schweiss gebadet, der Aufstieg zum Leiterepass ist steil. Der Gantrisch zur Rechten und die Nünenenflue zur Linken spielen dazu mit den Quellwolken Verstecken. Was kümmert uns der Himmel, wenn zu den Füssen die Blumenpracht mit ihren Reizen lockt? In allen Farben leuchten die Weiden und Hänge, der Bergsommer hat reich angerichtet.

Eine der schönsten Moorlandschaften mit vielen Geschichten und Sagen

Das Gantrischgebiet ist eine der grössten und schönsten Moorlandschaften der Schweiz. Das liefert Stoff für Geschichten und Sagen. Am Fusse des Gantrisch wohne Helva, die Königin der Feen, wird berichtet. Der Hirtenbursche Erni, von ihrer Schönheit angetan, folgte ihr ins Unterreich und liess sich von der Märchenwelt verzaubern. Doch er brach sein Versprechen, der Königin nicht nachzustellen, wenn sie sich jeweils am siebten Tage in ihr Allerheiligstes zurückzog. Helva zürnte, spie Feuer und Flammen und verbannte den Jungen auf ewig aus ihrem Reich. Seither liess sich die Feenkönigin nicht mehr blicken. Sehen lassen darf sich dafür der Leiterepass. Der Übergang selbst ist wenig spektakulär, doch das Panorama ist eine Wucht. Die Berner und Walliser Alpen zeigen sich in einer Reihe, man sitzt wie auf einem Balkon und geniesst die Fernsicht. An diesem Bild ändert sich so schnell nichts mehr. Bis zum Morgetepass halten wir mehr oder weniger die Höhe, das Panorama läuft mit.

Wanderer die den steilen Berg auf dem Gantrisch hochkraxeln
Auf den Gantrisch geht's nur mit den Händen - und den Füssen

Die Aussicht auf dem Gantrisch ist fantastisch, wenn Quellwolken nicht im Weg sind

Nach einer guten halben Stunde ist besagtes Wanderwegwegschild mit der Aufschrift «Vorsicht» erreicht, die Quellwolken haben den Gantrisch wieder mal im Griff . Wanderer sind Optimisten, eine weitere halbe Stunde später stehen wir auf dem Gipfel. Doch die Wolken denken nicht ans Aufgeben. Zwischendurch öffnen sie freundlicherweise ein Fenster, dann darf man einen Blick erhaschen in die Tiefe und die Ferne. Dann wieder ist alles dicht und man sieht noch knapp sein Sandwich in der Hand.

Aufgeben sollte man nie zu früh. Wie wir zurück beim Wanderwegschild sind, geben die Wolken den Gantrisch frei. Was soll’s. Wir lassen uns von den fröhlichen Mädchen am Morgetepass-Kiosk Geisskäse und Kaffee verkaufen und machen uns dann an den Abstieg. Das Gantrischseeli wartet. Der schönste Zugang ist inoffiziell, auf einem Trampelpfad, der kurz nach der Chummlihütte links die Alpstrasse verlässt. Auffallend ist deren historische Pflästerung. Der Morgetepass war als kürzeste Verbindung zwischen Freiburg und Sitten schon von Säumern begangen. Später folgten Touristen auf dem Weg in die Heilbäder Schwefelberg, Gurnigel und Weissenburg. Die Bäderromantik ist Geschichte, wir begnügen uns mit einer Abkühlung im Gantrischseeli. Mit Blick zum Gantrisch, von dem die Wolken nichts mehr wissen wollen.

Tannenbäuem auf saftiger grüner Wiese mit Bergsee
Idylle zum Abschluss am Gantrischseeli. Hartgesottene hüpfen rein.

Tipps und weitere Informationen zur Wanderung auf den Gantrisch

Wanderung: Gurnigel Wasserscheidi–Obernünene–Leiterepass– Abzw. Gantrisch–Gantrisch–Schibespitz–Morgetepass–Gantrischseeli–Underi Gantrischhütte.
Varianten: Die Bürgle ist das einfachere Gipfelziel als der Gantrisch, und sie ist fast gleich hoch. Eine Stunde hin und zurück ab Morgetepass. Die Gipfelbesteigungen kann man auch ganz auslassen, gibt ebenfalls eine stimmungsvolle Runde.
Anforderungen: Mit Ausnahme des Gantrischgipfels ist die Wanderung einfach und auch für bergerfahrene Kinder geeignet. Der Gantrisch indes ist eine Knacknuss: Die letzten Höhenmeter überwindet man seilgesichert und kletternd. Reine Wanderzeit vier Stunden, ohne Gantrischgipfel eine Stunde kürzer.
An- und Rückreise: Mit Zug und Postauto über Thurnen nach Gurnigel Wasserscheidi, zurück ab Gantrischhütte. Unter der Woche sehr wenige Verbindungen, am Wochenende zusätzliche Busse des Naturparks Gantrisch.
Verpflegung: Auf der Alp Obernünene, in der Gantrischhütte und beim Kiosk auf dem Morgetepass.
Karten: Swisstopo-Wanderkarte, 1:50 000 Blatt Gantrisch (253T); Swisstopo-Landeskarte, 1:25 000 Blatt Guggisberg (1206).

Weitere Sommerwanderungen die es zu erleben gibt:

Wandern von Weggis auf die Rigi

Wanderung in der Urwelt des Gasterntals

Wandern in der Urschweiz, auf der Göscheneralp


NATURZYT Ausgabe Juni 2021, Text/Fotos Daniel Fleuti

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