Plattbau Libelle an der Sonne auf einem feinen Ast

Wir sind nicht die einzigen Lebewesen auf diesem Planeten, doch wir sehen die Dinge immer nur aus unserer Sicht. Wie aber wäre es, wenn wir hören könnten, was unsere 4-, 8- oder 111-beinigen Mitbewohner dieser Erde uns zu sagen haben? Was würden sie wohl über uns Menschen denken, und wie würden sie ihr Zusammenleben mit uns empfinden?

Eine spannende Idee – sähen wir das ganze einmal aus ihrer Sicht und erführen, was sie uns alles zu sagen hätten. NATURZYT hat sich deshalb entschlossen, neue Wege auszuprobieren und sich darüber Gedanken zu machen, was wäre, wenn sie wie wir sprächen und wir sie einfach fragen könnten.

In früheren Zeiten, als sie noch der Göttin Freya zugeordnet waren, galten sie als heilig. Später dann wurden sie als Teufelsnadeln, Teufelsbolzen oder Augenstecher betitelt, aus Angst vor ihren vermeintlichen Stichen. Heute nennen wir sie Elfenpferde oder Helikopter – diese wundersamen und kunstvollen Flugakrobaten – unsere Libellen.

Hallo, mein Name ist Ellie Belle Plattbauch und ich bin gerne zu einem Gespräch mit euch bereit.

GUTEN TAG, LIEBE ELLIE BELLE, VIELEN DANK, ES IST SCHÖN, DASS DU UNS ETWAS ÜBER EURE ART ERZÄHLEN MÖCHTEST.
Das tue ich mit Freuden. Frag einfach drauflos.

NA EIGENTLICH INTERESSIERT UNS EINFACH ALLES. ABER DIE HÄUFIGSTE FRAGE IST WOHL: STECHT IHR?
Nein, wir stechen definitiv niemanden. Was an unserem Hinterleib wie Stacheln aussieht, sind nur Anhänge. Bei den Männchen sind diese zu einer kleinen Greifzange umgebildet, damit sie uns während der Paarung am Nacken festhalten können. Ich denke, es macht euch einfach Angst, wenn wir aus lauter Neugier auf euch zufliegen und vor euch schweben bleiben. Ihr denkt dann immer gleich an angriffige Wespen. Aber eigentlich sind die meisten von uns eher scheu und hauen ab, sobald sie Menschen sehen. Nur wenige sind so neugierig.

DA KÖNNTEST DU RECHT HABEN. ICH FINDE EUCH FASZINIERENDE GESCHÖPFE UND STELLE MIR LIEBER VOR, DASS IHR ELFENPFERDE SEID UND KLEINE ELFEN VON A NACH B TRANSPORTIERT. NUN ZURÜCK ZUR REALITÄT. WIE FUNKTIONIERT DENN DIE PAARUNG BEI EUCH? MIT EINEM LANGEN HINTERLEIB IST DAS WAHRSCHEINLICH NICHT SO EINFACH.
Hi hi, ja manchmal transportieren wir auch mal eine Elfe ... Nein, im Ernst, unser Hinterleib ist so lange, weil wir das für die Flugstabilisierung brauchen. Bei der Paarung packt das Männchen das Weibchen hinterm Kopf mit der Greifzange. Dann wölbt das Weibchen den Hinterleib mit der Geschlechtsöffnung nach oben, sozusagen zum Bauch des Männchens, wo der Samenbehälter ist. Das nennt ihr Paarungsrad.

BALZEN EURE MÄNNCHEN AUCH? WIE LÄUFT DAS BEI EUCH? ÄHNLICH WIE BEI EINER VOGELBALZ?
Natürlich gibt es auch bei uns ein Vorspiel aber nicht zu vergleichen mit einer Vogelbalz. Das ist bei uns eher unspektakulär. Das Männchen packt uns im Flug und wir paaren uns. Der Akt dauert weniger als 30 Sekunden. Nach der Begattung legen wir dann die Eier ab.

OH, DAS IST ABER SEHR SCHNELL. WIE SOLLEN WIR UNS DENN SO EINE EIABLAGE VORSTELLEN? ÄHNLICH WIE BEI FRÖSCHEN?
Wir laichen nicht wie Frösche, Plattbauch-Libellen werfen die Eier im Flug über Flachwasser ab.

GEHEN DENN DIE EIER BEIM ABWERFEN NICHT KAPUTT AN DER WASSEROBERFLÄCHE?
Oje, du Dummerchen, wir sind doch keine Bomber.  Wir fliegen dicht übers Wasser und wippen mit dem Hinterleib. Dabei berühren wir mit der Hinterleibsspitze immer wieder die Wasseroberfläche und legen dabei ein Ei ab. So geht keines kaputt.

ACH SO, ENTSCHULDIGE. WIE VIELE EIER LEGT IHR DENN?
Das ist ganz unterschiedlich. So zwischen 20 und 100 Eier sind es schon.

IST DIE EIABLAGE DENN BEI ALLEN LIBELLEN GLEICH?
Nein, absolut nicht! Die einen legen sie wie wir. Einige stechen sie in die Rinden von Bäumen, welche am Ufer wachsen. Andere werfen ihre Eier über trockenen Senken ab, welche vielleicht mal überflutet werden, wieder andere streifen sie unter Wasser am Substrat ab. Und dann gibt es noch einige wenige, welche zur Eiablage bis zu 90 Minuten lang auf Tauchgang unter Wasser bleiben können.

DAS IST JA SPANNEND. DANN BRAUCHT IHR AUCH VERSCHIEDENE LEBENSRÄUME, NICHT WAHR?
Ja, wir Plattbäuche bevorzugen kleine stehende Gewässer, die nicht beschattet sind und im Sommer sogar austrocknen können. Ausserdem bevorzugen wir Gewässer mit geringer Vegetation und Bodenschlammanteil. Viele Arten benötigen aber ganz spezielle Ablagesubstrate oder -pflanzen wie z. B. die Grüne Mosaikjungfer, welche ihre Eier nur in Blätter der Krebsschere sticht, oder Moorlibellen, die auf das Vorkommen von Torfmoosen angewiesen sind.

Im Gespräch mit NATURZYT

Illustration fliegende Libelle über See

Ellie Belle Plattbauch ist Mutter vo ca. 100 Larven, eine Ansitzjägerin der ersten Klasse und eine exzellente Fliegerin, welche ihre Beute gleich im Flug verzehrt.

DAS IST RICHTIG INTERESSANT. WAS PASSIERT DANN, WENN DIE LARVEN GESCHLÜPFT SIND? IST DAS ÄHNLICH WIE BEI SCHMETTERLINGEN?
Nicht ganz. Nach ca. 4 Wochen schlüpfen unsere Babys und halten sich noch einige Zeit dicht bei den Wasserpflanzen auf. Später leben sie im vegetationslosen Flachwasser. Sie sitzen am Grund und lauern auf Beute wie Insekten, Insektenlarven, Krebstiere, Würmer und Amphibienlarven. Nach 1–2 Jahren und 11 Larvenstadien sind die kleinen dann bereit aus dem Wasser zu krabbeln und sich in Libellen zu verwandeln. Sie suchen sich den passenden Ort, um ihr Larvenkostüm abzustreifen und die Flügel auszubreiten. Sobald diese getrocknet sind, schweben sie los. Das ist dann ähnlich wie bei Schmetterlingen.

DAS GEHT ABER SEHR LANGE. IST DAS BEI ALLEN LIBELLENARTEN SO?
Die Dauer des Larvenlebens variiert von Art zu Art. Frühe Heidelibellen brauchen dazu nur ca. 3 Monate, während Quelljungfern bis zu 5 Jahren benötigen.

DAS SIND ABER GROSSE UNTERSCHIEDE. WIE GROSS WERDET IHR, WENN IHR AUSGEWACHSEN SEID, UND KANN MAN MÄNNCHEN UND WEIBCHEN UNTERSCHEIDEN?
Wir haben eine Körperlänge von ca. 4 bis 5 cm und eine Flügelspannweite von ca. 7 bis 8 cm. Die Weibchen haben einen gelbbraunen bis oliv- oder dunkelbraunen flachen Hinterleib, die Männchen eine wachsartige hellblaue Färbung desselben.

WENN MAN EUCH BEIM FLIEGEN ZUSCHAUT, ERINNERT IHR AN EINEN HELIKOPTER. FUNKTIONIEREN EURE 4 FLÜGEL ÄHNLICH?
Wir sind exzellente Flieger und können hohe Geschwindigkeiten erreichen. Ausserdem können wir unsere beiden Flügelpaare unabhängig voneinander bewegen, wodurch wir fähig sind, ganz abrupt die Richtung zu wechseln oder auch an Ort und Stelle in der Luft zu stehen. Unsere erreichten Fluggeschwindigkeiten gehen hoch bis zu 50 km/h. Das sind dann bis zu 30 Flügelschläge pro Sekunde.

UNGLAUBLICH. KÖNNT IHR DENN BEI SO GROSSEN GESCHWINDIGKEITEN EURE BEUTE ÜBERHAUPT NOCH SEHEN?
Aber sicher doch. Wir verfügen wahrscheinlich über den besten Sehsinn aller Insekten. Unser Kopf ist von unseren Brustsegmenten deutlich getrennt, somit ist er auch extrem beweglich, und mit unseren grossen, auffälligen Facettenaugen, welche bei einigen Arten aus bis zu 30 000 Einzelaugen bestehen können, nehmen wir unsere Beute auch bei grossem Tempo sehr gut wahr. Wir haben an der Kopfoberseite noch 3 Einzelaugen, welche wie ein Gleichgewichtsorgan funktionieren. So können wir unsere schnellen Flugbewegungen gut kontrollieren. Für die Ermittlung der Fluggeschwindigkeit sind dann unsere Fühler da, welche wir, durch unsere an ihnen befindlichen Sinneshaaren, wahrnehmen.

DANN SEID IHR JA BESTENS AUSGERÜSTET. UND WIE FANGT IHR EURE BEUTE? EINFACH ZUSCHNAPPEN WIE FISCHE?
Wie Flugfische meinst du, hi hi. Lustige Vorstellung. Nein, wir haben an unseren beiden hinteren Brustsegmenten je 3 Beine, die bilden eine Art Fangkorb mit kräftigen klauen und meist bedornten Unterschenkeln, so können wir unsere Beute sehr gut halten. Wir verzehren diese auch gleich im Flug. Dazu bedienen wir uns unserer kräftigen bezahnten Mundwerkzeuge.

HOPPLA, DA MÖCHTE ICH ABER KEINE FLIEGE SEIN. HABT IHR ARTSPEZIFISCHE VORLIEBEN BEI EURER BEUTE UND JAGT IHR NUR IN DER NÄHE VON GEWÄSSERN?
Wir attackieren eigentlich wahllos, was wir überwältigen können. In der Paarungszeit überfallen Männchen manchmal sogar andere Libellen, ab und zu sogar welche der eigenen Art. Unsere Jagdflüge sind aber nicht auf Gewässer beschränkt, sondern finden auch auf Wiesen, Waldlichtungen und freien Flächen statt.

HUCH, KANNIBALISMUS. DAS KLINGT ABER UNANGENEHM. HABT IHR DENN NICHT SCHON GENUG FRESSFEINDE?
Natürlich, bei unserer letzten Häutung oder wenn wir uns in der Sonnenwärme aufheizen, sind wir enorm gefährdet. Frösche, Fledermäuse, Vögel, aber auch Wespen, Webspinnen und sogar Ameisen attackieren uns dann. Es können uns sowohl parasitäre Wassermilben als auch fleischfressende Pflanzen wie der Sonnentau gefährlich werden. Unsere Larven fallen oft anderen Libellenlarven und sonstigen Wasserräubern zum Opfer.

DAS IST TROTZ EURER SCHNELLIGKEIT KEIN EINFACHES LEBEN. WIE ALT KÖNNT IHR WERDEN?
Plattbauch-Libellen werden so ca. 3 Monate alt. Wir fliegen von Anfang Mai bis in den August hinein. Die meisten Arten werden 6–8 Wochen alt, manche sogar nur 2. Winterlibellen, welche als erwachsene Tiere überwintern, werden 10–11 Monate alt. Da sie aber den Winter in Kältestarre überdauern sind sie nur 4–6 Monate ihres Lebens aktiv.

DAS IST ABER TRAURIG. GIBT ES NOCH IRGENDETWAS, DAS DU UNS MENSCHEN GERNE SAGEN MÖCHTEST? WAS KÖNNEN WIR MENSCHEN FÜR EUCH TUN?
Unser Leben ist toll, wie es ist. Auch wenn es kurz ist, ist es doch sehr erfüllend und nie langweilig. Denkt daran, dass euer Leben kostbar ist, auch wenn ihr viel länger auf dieser Erde seid als wir. Ihr könnt in eurer Erdenzeit viel Gutes tun. Schützt unseren Lebensraum und tragt Sorge zur Natur und der Umwelt, denn darin leben wir alle. Hört auf, alles zu verschmutzen und auszubeuten. Die Erde gibt allen genug. Und wenn wir die Augen öffnen und hinsehen, dann merken wir, das wir alle ein Teil eines grossen Ganzen sind und im Kreislauf der Natur für alle Platz ist.

DAS IST EIN GANZ SCHÖNER GEDANKE. ER HAT VIEL WAHRES. WIR WERDEN DEINEN RAT BEHERZIGEN UND HOFFEN, DASS DU EIN TOLLES LANGES LEBEN HAST. VIELEN DANK FÜR DEIN LEHRREICHES UND INTERESSANTES GESPRÄCH.
Das habe ich gerne gemacht und ich danke euch, dass ihr euch für uns interessiert.

WIR WERDEN DICH NIE VERGESSEN ELLIE BELLE.

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NATURZYT Ausgabe September 2015, Text, Illustration Virginia Knaus, Foto Virginia Knaus

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