Der Vogelzug ist eine ornithologische Meisterleistung, die den Menschen schon seit jeher fasziniert. Vögel fliegen schwarmweise Tausende von Kilometern über die Kontinente: Wie machen sie das? Und warum?
Die Schweiz bietet durch ihre vielseitige Landschaft Lebensraum für knapp 420 Vogelarten. Allerdings trifft man diese ornithologische Vielfalt nicht das ganze Jahr über bei uns an. Dies liegt daran, dass viele Vögel für ihre Brut einen anderen Lebensraum aufsuchen oder einige Arten nur als Wintergäste bei uns Halt machen. Wenn die Tage im Herbst langsam kürzer werden, machen sich deshalb Arten wie der Schwarzmilan oder der Fischadler auf ihre alljährliche Reise über die Kontinente. So nehmen jedes Jahr geschätzt fünf Milliarden Zugvögel ihre Wanderung zwischen Europa und dem Nachbarkontinent Afrika auf. Dabei können wir zwischen Kurz strecken-, Teil- und Langstreckenziehern unterscheiden. Weshalb es Unterschiede gibt? Dafür muss man die Beweggründe für die lange Reise etwas genauer betrachten.
Die Langstreckenzieher legen Strecken weit über 4000 km zurück
Insektenfressende Vögel, wie zum Beispiel die Schwalbe, finden im Winter wenig Nahrung und müssen neue Gebiete aufsuchen, um ihren Bedarf zu decken. Sie legen Strecken von weit über 4000 Kilometern zurück und fliegen von Europa in den südlichen Teil Afrikas, südlich der Sahara. Dieses Verhalten gehört dem Langstreckenzug an und ist eine sehr spezialisierte Verhaltensform. Vogelarten, welche die Strapazen des Langstreckenzugs auf sich nehmen, wechseln ihren Lebensraum über das Jahr hinweg häufig und bleiben für die Brut kurz in ihrem Brutgebiet, bevor sie weiterziehen. Sie ernähren sich meist von nur kurz verfügbarer Nahrung wie zum Beispiel Insekten. Da viele Vögel für die Futtersuche im Winter in die nähere Umgebung ziehen, ist dort die Konkurrenz gross. Deshalb ziehen Arten, welche mit schmalen, langen Flügeln ausgestattet und somit dem Langstreckenflug optimal angepasst sind, weiter weg. Unter den Greifvögeln gehört beispielsweise der Baumfalke zu den Langstreckenziehern.
Kurzstreckenzeher wie Stare fliegen Strecken von weniger als 2000 Kilometern
Kurzstreckenzieher wie die Stare oder Kraniche hingegen fliegen verhältnismässig kurze Strecken von weniger als 2000 Kilometern und überwintern meist innerhalb Europas. Auch ernährungstechnisch sind sie nicht sehr anspruchsvoll und kommen als Generalisten mit unterschiedlicher Nahrung zurecht. Es gibt Vogelarten, welche jedes Jahr den Vogelzug durchführen (obligate Zugvögel), und solche, welche je nach klimatischen Verhältnissen auch einmal einen Winter in der Schweiz bleiben. Diese Vögel, welche individuell entscheiden, werden Teilzieher genannt. Der Mäusebussard gehört bei uns zu den Teilziehern und kann in einem Jahr ein Kurzstreckenzieher und im nächsten vielleicht ein sogenannter Standvogel, der keinen Vogelzug unternimmt, sein. Übrigens: Je nach geografischer Lage und Klima kann die gleiche Art bei uns Langstreckenzieher und an einem anderen Ort Standvogel sein.
Der Vogelzug bei Greifvögeln wie Rot- oder Schwarzmilan
Nebst dem Baumfalken gibt es wie oben bereits angedeutet noch weitere Greifvögel, welche in der Schweiz anzutreffen sind und den Vogelzug vollziehen. Dazu gehören der Rot- und der Schwarzmilan, der Wespenbussard und der Fischadler. Besonders der Rotmilan sticht dabei ins Auge: Er ist im Frühjahr einer der ersten Greifvögel, welcher aus dem Überwinterungsgebiet in die Schweiz zurückkehrt und auch er gehört zu den Teilziehern. Als Greifvogel ist der Rotmilan ein Karnivor und ernährt sich von Kleinsäugern, Reptilien, Aas oder Insekten. Seine Nahrungsansprüche sind relativ klein, und doch verlassen uns einige Rotmilane im Winter, weil sie ihren Bedarf nicht mehr decken können. Was jedoch zu einer grossen Veränderung dieses Zugverhaltens führt, ist das Füttern von Greifvögeln durch Privatpersonen. In der Schweiz hat diese Praktik in den letzten Jahren stark zugenommen und so bleiben viele Rotmilane über Winter im Land. Während ein Jungvogel zu den obligaten Zugvögeln gehört und die Strapazen des Zuges unabhängig von Nahrungsangebot auf sich nimmt, kann ein älterer Vogel jedes Jahr Erfahrungen sammeln und entscheiden, ob er wegziehen oder bleiben will. So weiss ein älteres Tier, dass im Winter durch das menschliche Füttern genug Nahrung zur Verfügung stehen wird und er den Zug nicht antreten muss. Deshalb kann man heute bei uns das ganze Jahr über viele Rotmilane beobachten. Dass diese Fähigkeit des Lernverhaltens bei kleineren Singvogelarten beispielsweise nicht so gut möglich ist, lässt sich dadurch erklären, dass diese schlicht nicht genug alt werden, um von ihren Erfahrungen der ersten Vogelzüge profitieren zu können.
Die Natur verändert sich stetig und die Vogelwelt passt sich ihr so gut wie möglich an. Gibt es einen milden Winter und das Nahrungsangebot ist reichlich, bleiben Kurz- und Langstreckenzieher in der Schweiz und sparen sich die kräftezehrende Reise über die Kontinente. Problematisch wird es, wenn vermehrt Wechsel zwischen extrem kalt, heiss, trocken und niederschlagsreich stattfinden. Diese klimatischen Extremereignisse bleiben auch in der Vogelwelt nicht unbemerkt und beeinflussen den Vogelzug enorm. Sie führen dazu, dass sich Vögel teilweise zu spät entscheiden oder dann doch über den Winter zu wenig Nahrung finden, weil sie das Wetter falsch eingeschätzt haben. Da der Vogelzug bei Langstreckenziehern zwei bis drei Monate dauert, ist es schwierig, diesen mit kleinen Energiereserven doch noch anzutreten. Zusätzlich zu den Konsequenzen für die stark spezialisierten Vögel kommt noch eine Verschiebung des Nahrungsangebots in den verschiedenen Lebensräumen: Bleibt der Winter mild und Langstreckenzieher beschliessen, in der Schweiz zu überwintern, kommt es im Überwinterungsgebiet im südlichen Afrika zu einem Überangebot der Insekten, welche nicht gefressen werden. So entsteht ein Ungleichgewicht, welches durch den Klimawandel immer häufiger beobachtet werden kann.
Faszination des jährlichen Vogelzug
Doch woher kommt der Vogelzug genau? Studien haben gezeigt, dass der Vogelzug genetisch verankert ist. So zeigten Beobachtungen von Zugvögeln in Volieren, dass diese Tiere während der Zeit des Vogelzuges unruhig wurden. Diese Unruhe wird durch Hormone ausgelöst, dauert über die Periode des Vogelzugs an und flacht danach wieder ab. Zugvögel richten ihre Route nach der Sonnen-und Sternenkonstellation aus und orientieren sich gleichzeitig mithilfe des Erdmagnetfeldes. Die Tageslänge spielt dabei eine entscheidende Rolle. Diese beeindruckende Fähigkeit kann bei Jungvögeln noch zu Orientierungsproblemen führen. Das zeitgesteuerte Zugprogramm bei Jungvögeln kommt dann ins Straucheln, wenn Gegen- oder Rückenwind den vorgegebenen Kurs beeinflussen. Da sie im ersten Zugjahr nicht wissen, wie ihr Zielort aussieht, bemerken sie die Abweichung nicht und führen keine Korrektur durch. Die meisten Zugvögel fliegen nachts und beginnen ihren Zug, sobald die Tage kürzer werden. Auch bei der Flugdauer gibt es Unterschiede: Der Mauersegler fliegt beispielsweise den ganzen Weg ins Überwinterungsgebiet ohne Pause. Dabei jagt er auch in der Luft und schläft sogar fliegend. Andere Vögel wie zum Beispiel Fischadler ziehen nur tagsüber und erholen sich in der Nacht. Wichtig für die Flugstrecken sind deshalb auch Rastplätze, welche es den Vögeln erlauben, sich zu erholen. Besonders dann ist es essentiell, dass die erschöpften Tiere nicht gestört und nur aus der Ferne beobachtet werden.
Greifvogelstation Berg am Irchel – eine wichtige Institution im Artenschutz
Veronika von Stockar gründete 1956 in ihrem eigenen Garten die Station. So begann eine 52 Jahre lange Tätigkeit, während der über 3000 Tiere gepflegt wurden. Im Laufe der Jahre gewann die Station schweizweit an Aufmerksamkeit. Die präzise Buchführung über die gefiederten Patienten liefert wertvolle Daten über einheimische Greife. Für ihre ausser gewöhnliche Leistung wurde Veronika von Stockar 2007 mit der Ehrendoktorwürde der Universität Zürich ausgezeichnet. 2008 übergab sie dann die Leitung der Stiftung PanEco, welche 1996 von Regina Frey, Veronika von Stockars Tochter, gegründet wurde. PanEco ist eine gemeinnützige und spendenfinanzierte Stiftung, die sich für Natur- und Artenschutz sowie Umweltbildung in der Schweiz und in Indonesien engagiert. Heute leitet der Biologe und Ornithologe Andi Lischke die Station. Tatkräftig unterstützt wird er von einem stellvertretenden Leiter, einer Mitarbeiterin für Umweltbildung, einem Zivildienstleistenden undeinem kleinen Team von Freiwilligen.
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NATURZYT Ausgabe September 2021, Text Sarah Bänziger, Fotos Paneco, AdobeStock