Wir sind nicht die einzigen Lebewesen auf diesem Planeten, doch sehen wir die Dinge immer nur aus unserer Sicht. Wie aber wäre es, wenn wir hören könnten, was unsere 4-, 8- oder 111-beinigen Mitbewohner dieser Erde uns zu sagen haben? Was würden sie wohl über uns Menschen denken und wie würden sie ihr Zusammenleben mit uns empfinden?
Eine spannende Idee – sähen wir das ganze einmal aus ihrer Sicht und erführen, was sie uns alles zu sagen hätten. NATURZYT hat sich deshalb entschlossen, neue Wege auszuprobieren und sich darüber Gedanken zu machen, was wäre, wenn sie wie wir sprächen und wir sie einfach fragen könnten.
Schillernd und flink wie winzige Quecksilber-Tröpfchen sausen sie des Nachts in unseren Badezimmern und Küchen umher. Grässliches Ungeziefer oder vielleicht doch ein Nützling? Die Meinungen darüber gehen weit auseinander, die Wahrheit muss jeder für sich selbst finden.
Jeder von uns hat sicher schon mal ein kleines Silberfischchen irgendwo im Haus entdeckt, sei es in der Besteckschublade in der Küche oder im Lavabo im Bad. Sogleich schreit man: «Iiiih, ein Silberfischchen wie unhygienisch.» Heute wollen wir mit ein paar Vorurteilen aufräumen.
Auch uns in der NATURZYT-Redaktion ging es nicht viel anders. Als wir uns vor der Redaktionssitzung noch einen Kaffee holten, sass da tatsächlich so ein kleines Etwas in unserer Besteckschublade und glänzte mit den Löffeln um die Wette. Somit war auch der nächste Interviewgast bereit zum Gespräch.
Hallo, mein Name ist Sally Silberfisch und ich darf meine Spezies im heutigen Interview vertreten. Ich hoffe, wir werden dadurch ein besseres Verständnis füreinander bekommen.
Hallo, liebe Sally, es ist schön, dass du dich für dieses Gespräch zur Verfügung stellst. Auch wir hoffen, dass wir dadurch ein paar Missverständnisse beseitigen können.
Davon bin ich überzeugt.
Sag mal Sally, weshalb halten wir Menschen euch eigentlich für unhygienisches Ungeziefer?
Tja, das können wir echt auch nicht nachvollziehen. Wir sind eigentlich ganz saubere kleine Tierchen. Vielleicht liegt es ja daran, dass wir sechs Beine haben und einen dreiteiligen Schwanz. Oder aber vielleicht auch daran, dass wir Insekten sind und Menschen einfach generell keine Insekten mögen. An unserem glänzenden Körper kann es ja wohl kaum liegen, oder?
Naja, vielleicht doch. Dadurch, dass er so metallen glänzt, erweckt das den Eindruck, dass euer Körper feucht und glitschig ist. Sowas empfinden wir Menschen als eklig. Wahrscheinlich ist das genau das Problem. Wie ist das eigentlich, kommt Ihr schon mit so silberfarbenen Körpern auf die Welt, und was hat es mit eurem dreiteiligen Schwanz auf sich?
Also unsere Körper sind weder feucht noch glitschig. Im Gegenteil. Sie sind warm und ganz fein wie Seide.
So ähnlich wie bei Schlangen?
Ja genau, so in etwa. Silberfarben sind wir, weil wir wie Fische Schuppen haben. Die silberne Farbe haben wir aber nicht von Geburt an. Die bekommen wir erst, nachdem wir uns das dritte Mal gehäutet haben. Und unser dreiteiliger Schwanz ist auch, wie unsere beiden Fühler vorne, ein Tastorgan. Es hilft uns, wie einem Blinden, besser zu sehen im Dunkeln.
Im Gepräch mit NATURZYT
Sally Silberfisch liebt Badezimmer-Temperaturen und feuchte Ecken. Sie ist ein Warnsignal und zeigt uns auf, gerade wenn sie mit mehreren Kumpanen einzieht, dass irgendetwas nicht mehr stimmt. Sie ernährt sich von Hautschuppen und Haaren, toten Insekten und Hausstaubmilben – eine sinnvolle Reinigungsmaschine und Warnanlage für uns Menschen.
Ihr seid ja vor allem in der Nacht aktiv. Seht ihr denn überhaupt etwas?
Ja, wir können schon sehen, aber halt nicht sehr gut. Dafür gleichen wir das mit unserem Tastsinn aus.
Meistens sieht man euch ja, wenn man des Nachts zur Toilette muss und dazu das Licht anmacht, noch schnell weghuschen. Oder wenn man mal eine Küchenschublade aufzieht, die schon länger nicht mehr aufgeräumt wurde. Warum haltet Ihr euch eigentlich mit Vorliebe an solchen Orten auf?
Wir mögen Orte, an denen es warm ist und eine hohe Luftfeuchtigkeit herrscht. Da bieten sich Badezimmer und Küchen geradezu an.
Kriecht ihr auch in Mehlsäcke und sonstige Vorratsdosen hinein, fresst euch durch und legt dort dann eure Eier ab?
Ihr meint etwa so wie die Küchenschaben?
Ja genau.
Nein, das tun wir nicht. Wir sind keine Schädlinge. Zumindest nicht so wie ihr das versteht. Wir kriechen gerne hinter lose Tapeten oder Sockelleisten. Oder aber wir verstecken uns in kleinen dunklen Ritzen und Fugen. Wir sind ja nur sehr klein, werden kaum viel grösser als einen Zentimeter. Da brauchen wir nicht viel Platz.
Aber ihr müsst ja von etwas leben. Was fresst Ihr denn, wenn nicht unsere Lebensmittel?
Wir lieben Kohlehydrate wie Zucker oder Stärke. Ausserdem gehören wir zu den wenigen Lebewesen, die Zellulose verdauen können. Ich gebe zu, wir haben eine Schwäche für Bücher, Tapeten und Fotos wegen des Klebers. Aber wir benagen auch Schimmelpilze und vermindern diese dadurch. Ebenso befreien wir euch von Hausstaubmilben, toten Insekten, Haaren und Hautschuppen. Ausserdem sind wir keine Krankheitsüberträger. Also wie ihr seht, sind wir nicht nur die bösen Lochfresser in euren Baumwollhosen und Seidenschals, sondern auch durchaus nützliche Helfer.
Das hört man aber gerne. Du hast gesagt, dass ihr nicht viel grösser als einen Zentimeter werdet. Du bist aber noch viel kleiner. Ist das, weil du ein Weibchen bist, oder bist du noch ein Junges?
Also ein Junges bin ich nicht mehr, aber auch noch nicht so alt. Ich hab mich noch nicht 8-mal gehäutet, bin also noch nicht geschlechtsreif.
Legt ihr Eier oder kommt ihr schon als Silberfischchen zur Welt?
Das ist ja vielleicht eine Frage. Ich werde dir das mal erklären. Es ist so, dass, nachdem uns das Männchen einen schönen Tanz vorgeführt und uns ein Samenpäckchen am Boden deponiert hat, wir dieses aufnehmen. Dann legen wir etwa 20 Eier in einer passenden Ritze ab, und sie entwickeln sich. Wir schlüpfen dann als fertige Silberfischchen aus den Eiern.
Dann macht ihr also keine Metamorphose durch. Wie lange geht es dann, bis ihr schlüpft?
Wir brauchen bei optimalen Bedingungen etwa 4 Monate bis wir schlüpfen, bei schlechten bis zu 3 Jahren. Bei Kälte und Trockenheit vermehren wir uns gar nicht.
Das ist aber ein grosser Unterschied. Wie lange braucht ihr denn, bis ihr ausgewachsen seid? Und wie alt könnt ihr denn werden?
Bei Zimmertemperatur können wir uns innerhalb eines Jahres vollständig zu einem erwachsenen Tier entwickeln, und wir können eine Lebensdauer von 2 bis 8 Jahren erreichen.
Das hätten wir jetzt nicht gedacht. Ein schönes Alter für so ein kleines Tierchen. Habt ihr eigentlich auch Feinde?
Ausser euch Menschen, meinst du? Ja, da gibt es noch die Ohrwürmer, und auch Spinnen sind uns nicht gerade freundlich gesinnt. Ansonsten wüsste ich auch keine.
Das war aber ein sehr aufschlussreiches Interview. Dafür danken wir dir sehr. Gibt es noch etwas, das du uns Menschen gerne mitteilen möchtest?
Ich bin sehr froh, dass ich euch so vieles von uns erzählen konnte. So werdet ihr uns vielleicht etwas besser verstehen. Wir möchten gerne friedlich neben euch leben können. Normalerweise sind wir nur vereinzelt in euren Bädern und Küchen anzutreffen. Habt ihr aber auf einmal ganz viele von uns bei euch im Bad oder sonst wo, ist das ein Zeichen, dass da wohl etwas nicht stimmt. Vielleicht habt ihr Feuchtigkeit in den Wänden oder aber einen Schimmelpilzbefall. Achtet auf uns, wir können euch als Warnsignal dienen. Ansonsten geht von uns keine Gefahr aus, ausser vielleicht mal ein paar kleine Löcher in euren Socken. Dann lächelt doch bitte darüber und denkt an uns als Helfer, der die Hausstaubmilben gleich mitvertilgt hat.
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NATURZYT Ausgabe Dezember 2014, Text Virginia Knaus, Foto Fotolia, Illustration Sandra Hugunin