Amsel sitz im Wald auf einem Ast

Wir sind nicht die einzigen Lebewesen auf diesem Planeten, doch wir sehen die Dinge immer nur aus unserer Sicht. Wie aber wäre es, wenn wir hören könnten, was unsere 4-, 8- oder 111-beinigen Mitbewohner dieser Erde uns zu sagen haben? Was würden sie wohl über uns Menschen denken, und wie würden sie ihr Zusammenleben mit uns empfinden?

Eine spannende Idee – sähen wir das ganze einmal aus ihrer Sicht und erführen, was sie uns alles zu sagen hätten. NATURZYT hat sich deshalb entschlossen, neue Wege auszuprobieren und sich darüber Gedanken zu machen, was wäre, wenn sie wie wir sprächen und wir sie einfach fragen könnten.

Sie verzücken uns mit ihren Gesängen und verkünden uns den Frühling. Unscheinbar in braunen Erdtönen gekleidet oder im edlen, schwarz schillernden Gewand, tragen sie uns ihre lieblichen Melodien vor. Jeder hat sie bestimmt schon mal durch eine Wiese hüpfen gesehen – unsere Amseln!

Diesen Winter haben wir beschlossen auf unserer Redaktions-Terrasse ein Vogelhaus und selbstgemachte Knödel aufzuhängen. Wie haben wir uns da gefreut, als eine mutige kleine Amseldame sich freudig zum Festmahl einfand. Es schmeckte ihr und sie war deshalb auch gerne zu einem kleinen Interview bereit.

Hallo, ich bin Flora Amsel. Vielen Dank, dass ihr uns Vögeln so leckere Körner, Nüsse und Beeren anbietet. Das lässt uns die Winterzeit viel einfacher und angenehmer überstehen.

HALLO LIEBE FLORA, DAS HABEN WIR SEHR GERNE GEMACHT. UNSERE WINTER HIER UNTEN SIND JA NICHT MEHR SO ARG HART WIE FRÜHER. ABER DIE FUTTERSUCHE IST TROTZDEM NICHT SO EINFACH WIE DAS RESTLICHE JAHR ÜBER. WIE IST DAS EIGENTLICH, AMSELN GEHÖREN DOCH EIGENTLICH ZU DEN ZUGVÖGELN. WESHALB SIND DENN VIELE VON EUCH ÜBERHAUPT NOCH HIER?
Ja, das ist in der Tat so. Wir gehören zu den Drosselartigen und früher, als die Winter noch härter waren, sind wir regelmässig in wärmere Gefilde gezogen wie zum Beispiel nach Afrika. Es gibt immer noch Regionen, aus denen wir während dieser Jahreszeit fortziehen. Aber gerade in den Siedlungsgebieten finden wir genug Möglichkeiten um zu überwintern. Ausserdem helfen uns auch viele Menschen dabei, indem sie uns Futter- und Vogelhäuschen etc. zur Verfügung stellen. Das nehmen wir gerne und auch dankbar an.

JA, MAN SIEHT EUCH OFT IN GRUPPEN BEI DEN FUTTERSTATIONEN. IHR SEID WOHL AUCH SEHR SOZIAL MITEINANDER ODER?
Naja, das ist etwas komplizierter. In der Wintersaison leben wir sehr sozial miteinander zusammen. Aber den Rest des Jahres eher nicht. Da sind wir ziemlich territorial.

ACH SO. UND WESHALB DENN DAS?
Das ist so, weil jeder von uns sein eigenes Territorium braucht, um seine Küken grosszuziehen. Wir müssen viel Futter suchen, um die Jungen aufzuziehen, ausserdem wollen wir sie auch keiner Gefahr aussetzen. Auch wir Amseln vergreifen uns manchmal an fremden Eiern, wenn du verstehst, was ich meine. Das kommt zwar selten vor, aber Vorsicht ist besser als Nachsicht.

WIE IST DENN DAS MIT DEM TERRITORIUM UND DER AUFZUCHT. WIE FINDET IHR EIN GEEIGNETES TERRITORIUM UND FÜTTERT DAS MÄNNCHEN DICH UND DIE KLEINEN?
Also, das mit dem Territorium ist eigentlich so, jede Amsel hat sein Territorium erkämpft. Meist geschieht das nach der Balz. Wenn wir uns dann für ein Männchen, das uns gefällt, entschieden haben, ziehen wir in dessen Territorium, falls schon eines vorhanden ist, oder wir suchen uns dann eines. Die Aufzucht übernehmen wir dann beide, aber wir Amsel Weibchen werden höchst selten mit gefüttert. Wir zweigen uns bei der Futtersuche schon mal einen kleinen Happen ab. Das ist auch kein Problem, da wir ja beide auf Futtersuche für die Kleinen gehen.


Im Gespräch mit NATURZYT

Zeichnung einer schwarzen Amsel auf einem Ast

Flora Amsel wohnt in einer Dornenhecke und singt gerne beim Duschen. Sie liebt unaufgeräumte Gärten mit verblühten Blumen. Sie ist eine liebevolle Mutter und die erste Geige beim Brutpartner. Die Einrichtung des Nestes ist natürlich Sache der Frauen, wie bei uns Menschen.


DANN LASST IHR DIE JUNGEN EINFACH ALLEINE WÄHREND DIESER ZEIT? WAS IST MIT NESTRÄUBERN?
Ganz alleine sind sie ja nicht. Wir teilen uns die Aufzucht ja auf. Und wir haben auch immer ein Auge darauf, ob Nesträuber in der Nähe sind. Meist sind es Raben oder Katzen, die wir fürchten müssen, aber auch Marder, Eichhörnchen, Falken und andere Raubvögel haben es auf die Eier und frisch geschlüpfte Jungtiere abgesehen. Deshalb verteidigen wir unser Revier auch gegen jegliche Eindringlinge, auch gegen Artgenossen. Vor allem unsere weiblichen Revierkämpfe können manchmal bis zum Tod der unterlegenen Amsel führen.

WIE IST DENN DAS BEI EUCH EIGENTLICH. LEBT IHR MONOGAM? UND SEID IHR, WIE STÖRCHE, EIN LEBEN LANG ZUSAMMEN?
Oh nein. Wir wechseln eigentlich in jeder Brut-Saison den Partner. Zumeist wenigstens. Es gibt in seltenen Fällen, vor allem bei den Amseln, die nicht wegziehen, längere Partnerschaften. Aber das ist eher die Ausnahme und nicht die Regel.

DANN IST ES JA BALD WIEDER SO WEIT UND DU HAST WIEDER DIE FREIE WAHL. NACH WELCHEN KRITERIEN SUCHT IHR EURE MÄNNCHEN EIGENTLICH AUS? NACH DEM GESANG?
Es ist wohl eine Kombination von allem. Tanz, Gesang und Territorium. Ich hab schon zum zweiten mal dasselbe Männchen gewählt und werde es wahrscheinlich wieder wählen. Er hat sich ein gut geschütztes Revier erkämpft, ist ein toller Stolzierer und kann wunderschön singen. Ausserdem gehört er zu denen, die auch mal einen Wurm für mich ins Nest mitbringen.

DAS IST ABER TOLL. BAUT ER AUCH DAS NEST, WIE DAS BEI SO VIELEN VÖGELN DER FALL IST? UND WO BAUT IHR EURE NESTER?
Nein, Nestbau ist alleine meine Sache. Er hilft nur bei der Aufzucht mit. Damit er die jungen grossziehen kann, falls mir etwas zustösst. Ansonsten ist er vor allem für das Revier und dessen Verteidigung zuständig. Unsere Nester bauen wir in Büschen oder Bäumen so in 1½–2 Metern Höhe. In der Stadt auch mal auf Balken oder Simsen. Wänden, an denen sich Efeu oder wilder Wein emporrankt, sind auch ganz ideal.

WIE OFT BRÜTET IHR IN EINER SAISON UND WIE VIELE JUNGVÖGEL ZIEHT IHR AUF?
Wir brüten so 2 bis 3 Mal im Jahr und ziehen pro Mal zwischen 3 und 6 Junge auf. Das ist harte Arbeit.

JA, DAS KANN ICH MIR VORSTELLEN. WIE LANGE DAUERT ES DENN, BIS DIE JUNGEN FLÜGGE SIND?
Also die Eier brüte ich 14 Tage aus. Danach geht es nochmals etwa 15 Tage, bis die Jungen das Nest verlassen. Wir versorgen die Kleinen dann nochmals etwa 2 Wochen lang mit Futter, bis sie vollkommen eigenständig sind. Danach sind sie auf sich gestellt, gehen weg und suchen sich ein eigenes Revier.

WAS FRESST IHR AM LIEBSTEN UND WORAUS BESTEHT DER HAUPTANTEIL EURES FUTTERS?
Wir fressen hauptsächlich Insekten, Regenwürmer und Schnecken, aber auch Obst, Körner und Beeren verschmähen wir nicht. Wir sind eigentlich recht unkompliziert. Der Hauptanteil jedoch besteht ausser im Winter eher aus den erst genannten Dingen.

DAS WAR ALLES SEHR INTERESSANT UND AUFSCHLUSSREICH. GIBT ES NOCH ETWAS, DAS DU UNS MENSCHEN GERNE MITTEILEN MÖCHTEST? VIELLEICHT ETWAS, DAS WIR FÜR EUCH TUN KÖNNTEN?
Ja, da gibt es schon etwas. Es wäre so viel schöner für uns, wenn eure Gärten nicht immer so pikfein aufgeräumt wären. Das sind nämlich für uns nur grüne Wüsten, in denen wir kaum Nahrung finden. Wir schätzen ja sehr, dass ihr uns Futterstationen hinstellt im Winter und einige auch das ganze Jahr über da sind. Aber es ist nicht dasselbe wie ein frisch aus der Erde gescharrter Wurm oder wie eine aus dem Laub gepickte Schnecke. Also, lasst doch bitte etwas Laub liegen, ihr könnt es ja unter die Büsche schieben. Da kann es dann auch noch toll zu Humus für eure Pflanzen werden und wir können darin nach Essbarem scharren. Ausserdem, schneidet doch nicht immer gleich alle verblühten Pflanzen ab. Viele davon haben Samenstände, die uns auch noch in der Winterzeit mit Nahrung versorgen können. Wenn ihr im Garten werkelt, denkt doch einfach auch etwas an uns und lasst mal Fünf gerade sein. Damit könnt ihr uns schon sehr viel helfen, und vielen anderen kleinen Wildtieren auch.

LIEBE FLORA, DAS WERDEN WIR UNS SICHER ZU HERZEN NEHMEN. WIR BEWOHNEN DIESE ERDE JA SCHLIESSLICH NICHT ALLEINE. AUF JEDEN FALL DANKEN WIR DIR VON HERZEN FÜR DIESES BESONDERE INTERVIEW UND FREUEN UNS SCHON JETZT WIEDER AUF VIELE SCHÖNE LIEDER VON DIR UND ALLEN ANDEREN AMSELN.
Es hat mir sehr viel Spass gemacht, euch etwas aus unserem Leben zu berichten und ich werde euch gerne noch viele schöne Lieder singen.

Weitere tierisch gute Gespräche die spannend sind zu lesen:

Tierisch gutes Gespräch mit Maximilian Stich

Tierisch gutes Gespräch mit Anton Ameise

Tierisch gutes Gespräch mit Sämi Eichhörnchen


NATURZYT Ausgabe März 2015, Text Virginia Knaus, Bild Virginia Knaus, Illustration Sandra Hugunin

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