Wir sind nicht die einzigen Lebewesen auf diesem Planeten, doch sehen wir die Dinge immer nur aus unserer Sicht. Wie aber wäre es, wenn wir hören könnten, was unsere 4-, 8- oder 111-beinigen Mitbewohner dieser Erde uns zu sagen haben? Was würden sie wohl über uns Menschen denken und wie würden sie ihr Zusammenleben mit uns empfinden?
Eine spannende Idee – sähen wir das ganze einmal aus ihrer Sicht und erführen, was sie uns alles zu sagen hätten. NATURZYT hat sich deshalb entschlossen, neue Wege auszuprobieren und sich darüber Gedanken zu machen, was wäre, wenn sie wie wir sprächen und wir sie einfach fragen könnten.
Wir leben in nächster Nähe mit ihnen zusammen, sehen Sie überall, doch wir nehmen sie meist nur am Rande wahr, und wenn dann empfinden wir ihre Anwesenheit als lästig und unhygienisch. Ein Volk so gross, dass es unser Vorstellungsvermögen sprengt. Jedes einzelne Individuum eine winzig kleine Persönlichkeit, sozial, loyal und stärker als Herkules. Also setzen wir uns hin und nehmen uns Zeit, um hinzusehen und hinzuhören – sie haben uns viel zu sagen und können uns vieles lehren, unsere Mitbewohner auf dieser Erde, die Ameisen.
Interview mit Anton Ameise, Kolonial-Koordinator aus der Kolonie, welche sich bei uns auf der Redaktionsterrasse in einem Pflanzentrog niedergelassen hat. Wir sind anfangs oft aneinandergeraten, weil wir uns nicht wirklich verstanden. Doch nimmt man sich Zeit und versucht aufeinander einzugehen, ja versucht vielleicht sogar sich einmal in den anderen hineinzuversetzen, auch wenn es «nur» eine Ameise ist, wird das Verständnis plötzlich grösser, die Verständigung einfacher und irgendwann erwächst daraus gegenseitiger Respekt. Dann hat man plötzlich das Gefühl, sich mit ihr wie mit einem guten alten Freund zu unterhalten, und das kann wahrlich Erstaunliches zu Tage bringen.
Deshalb hat es sich auch aufgedrängt, das erste Interview mit einer Ameise aus unserer Kolonie zuführen:
Hallo, ich bin Anton und werde euch gerne alle eure Fragen beantworten. Wir alle haben schon lange gewartet, dass jemand sich einmal die Zeit nimmt und uns nach unserer Meinung fragt. Ihr alle könntet noch viel von uns lernen. Und ich wurde aus unserer Kolonie ausgewählt, als Vertreter unseres Volkes, um euch Rede und Antwort zu stehen.
Es freut uns sehr, dich kennen zu lernen, Anton. Wir möchten gerne vieles von euch erfahren.
Es freut uns auch, dass wir durch dieses Interview endlich eine Stimme bekommen, und wir sind sicher, dass ihr alles fragen werdet, was wichtig ist.
Was uns natürlich als Erstes interessiert: Wie seid ihr denn eigentlich auf die Idee gekommen, euch bei uns auf der Redaktionsterrasse niederzulassen?
Das war eigentlich gar nicht so geplant. Wir sind ganz einfach mit der Pflanze eingezogen. Wir waren nur ganz wenige, und anfangs habt ihr uns auch kaum bemerkt. Es ist nicht immer einfach, mit euch zusammenzuleben, und das Klima im Pflanzentrog ist auch nicht immer sehr ideal, aber wir haben uns mittlerweile daran gewöhnt und können damit umgehen. Und mit euch haben wir uns inzwischen auch schon gut zusammengerauft.
Vielen Dank, das freut uns zu hören. Nun möchten wir natürlich auch sehr gerne wissen, wie es denn bei euch zu Hause aussieht. Unterscheidet sich euer Zuhause von unserem und wenn ja worin?
Natürlich unterscheidet sich unser Zuhause ganz wesentlich von eurem. Wir sind ja schliesslich ganz viele, die da wohnen. Wir haben alle unsere Aufgaben und auch unsere Bereiche, in welchen wir uns regelmässig bewegen. Ich glaube, jeder, der schon mal eine Ameisenfarm gesehen hat, weiss in etwa, wie unsere Behausungen aufgebaut sind, mit vielen Gängen und Kammern. Es gibt Kammern zum Lagern von Vorräten, Kinderstuben, Trainingsräume und Kammern zum Ausruhen und Schlafen. Wir bauen die ganzen Anlagen so, dass, falls es mal sehr stark regnet, keine der Kammern voll Wasser läuft. So sind wir sicher und können überleben. Unter der Erde haben wir ein Klima, das sowohl im Sommer als auch im Winter mehr oder weniger konstant ist. Zumindest ist dasnormalerweise der Fall. Wir Pflanzentrog-Bewohner haben da manchmal Mühe, weil es im Sommer sehr heiss werden kann und im Winter ziemlich kalt.
Wir Menschen streiten uns häufig, wenn wir so nahe beieinander wohnen, und sind oft neidisch auf das, was der andere hat. Kennt ihr diese Gefühle auch?
Nein. Für uns ist das Zusammenleben in grossen Gruppen normal, und keiner ist besser oder schlechter als der andere. Wir teilen alles gerecht auf, sodass keiner einen Mangel an Benötigtem hat. Wir haben, genau wie ihr Menschen, verschiedene Aufgaben und Talente, doch bei uns nutzt jeder das, was er am besten kann, zum Wohle der ganzen Gemeinschaft. Zusammen sind wir stark und schaffen Erstaunliches, und die Gemeinschaft sichert uns unser Überleben.
Welche Aufgabe fällt dir denn in der Kolonie zu? Welche Aufgabe haben denn die Ameisen auf der Erde generell, und wovon lebt ihr?
Meine Aufgabe in der Kolonie ist es, alles zu koordinieren. Sodass alles so läuft, wie es soll, und jeder weiss, was er zu tun hat. Wir sind wie alles in der Natur ein Teil des natürlichen Kreislaufs. Wir sind eine Art Reinigungstrupp. Das heisst, wir sind sowohl Aasfresser als auch Bauern. Wir verspeisen verstorbene Insekten, welche wir einsammeln und in unseren Bauen einlagern, so halten wir die Umgebung sauber, sodass sich keine Krankheiten ausbreiten können, und schaffen uns Vorräte für den Winter. Wir treffen aber auch Abkommen mit anderen Insekten. Wie beispielsweise den Blattläusen. Wir züchten sie, wo sie genug Futter finden, und beschützen sie gegen ihre Feinde wie beispielsweise Marienkäfer. Im Gegenzug bekommen wir von ihnen das süsse Sekret, welches sie ausscheiden. So haben wir beide etwas davon.
Das sind sehr wichtige Funktionen, die Ihr da übernehmt. Nun gibt es ja sehr viele verschiedene Ameisenarten. Worin unterschieden sich denn die verschiedenen Arten, und zu welcher Art gehört euer Stamm?
Wir unterschieden uns in Grösse, Farbe, Klicklauten und Verhalten. Ganz genau so, wie es bei euch Menschen ist. So lange wir uns nicht in die Quere kommen, halten wir Frieden. Wir vermischen uns aber nie. Wir sind immer loyal zu unserem Stamm. Unsere Kolonie stammt von den Schwarzameisen ab.
Dann kennt ihr also Krieg auch?
Ja, nur unterscheidet sich der Krieg, den wir führen, ganz erheblich von den Kriegen, die ihr Menschen führt. Wir kämpfen nämlich nur, wenn es um unser Überleben geht. Nicht wegen der Macht oder des Reichtums.
Am Anfang habt ihr uns oftmals sehr gezwickt, wenn wir draussen am Tisch Redaktionssitzungen hielten, obwohl wir eigentlich nur dagesessen haben. Rote Ameisen pinkeln uns Menschen auch oft an. Deshalb greifen viele zur Giftkeule oder trampeln viele Ameisen einfach zu Tode. Weshalb tun Ameisen denn das? Und was können wir tun, um ein respektvolles Zusammenleben möglich zu machen, ohne gleich zu Gift zu greifen?
Diese Frage ist ganz einfach zu beantworten. Wir fühlen uns von euch bedroht. Versetzt euch doch mal in unsere Lage. Ihr seid Riesen für uns, und ihr könnt uns mit Leichtigkeit zerquetschen, indem ihr nur mal kurz mit dem grossen Zeh zuckt. Also versuchen wir, euch so schnell wie möglich von da, wo wir sind, zu vertreiben. Dazu benutzen wir unsere Kneifer und die Roten ihre Säure. Das ist aber nicht persönlich gemeint. Wir haben einfach schon zu viele schlechte Erfahrungen mit euch Menschen gemacht. Was ihr nicht versteht und auch nicht eurem Schönheitsideal entspricht, wird vernichtet. Dabei wäre es so einfach. Wenn ihr euch nur mal die Zeit nehmen und uns genauer betrachten würdet, dann würdet ihr vielleicht erkennen, dass auch wir ein Teil der Schöpfung sind. Sprecht doch einfach mit uns und bittet uns, uns an gewisse Bereiche der Terrasse oder des Gartens zu halten. Klärt uns vorher auf, wenn ihr fegen wollt oder mäht. Wir verstehen euch schon. Auch ab und zu ein kleines Geschenk in Form von etwas Schinken oder Zucker wissen wir durchaus zu schätzen. Wenn wir merken, dass ihr uns mit Respekt behandelt, werden wir euch das danken. Wir sind genauso ein Teil dieser Erde wie ihr und haben genau dasselbe Recht, auf ihr zu leben, wie ihr.
Es gibt Filme, in denen es Killerameisen gibt, die die Menschheit ausrotten. Wenn man es recht bedenkt, könntet ihr das tatsächlich tun. Es gibt ja schliesslich unzählige Ameisen auf der Welt. Habt ihr euch nie überlegt, wie es wäre, das zu tun?
Was hätten wir denn für einen Nutzen daraus? Nur weil es dann niemanden mehr gäbe, der die Giftkeule schwingt? Ihr nehmt euch einfach zu wichtig. Wir denken nicht wie ihr. Die Natur ist ein steter Kreislauf von Werden und Vergehen. Ausserdem gibt es schliesslich auch noch andere Feinde, welche uns fressen wollen. Das gehört zum natürlichen Kreislauf dazu.
Anton, gibt es etwas, das Ihr uns Menschen gerne sagen würdet? Was können wir von euch lernen?
Ihr Menschen habt noch vieles zu lernen. Nicht nur von uns, sondern von vielen anderen Lebewesen auch. Wir würden euch gerne sagen, dass ihr euch nicht immer so wichtig nehmen sollt. Auch ihr seid nur ein Teil dieser Erde. Sie braucht euch nicht, aber ihr braucht sie. Also tragt Sorge zur Natur und schützt sie. Ihr zerstört nicht nur unseren Lebensraum, sondern auch euren. Lernt von uns, ihn zu erhalten, und dass ihr in der Gemeinschaft stark seid, dass jeder sein Talent zum Nutzen aller anbieten sollte. Seht euch als Teil des natürlichen Kreislaufs an, in der jeder seine Funktion hat und seinen Teil zum Wohle aller beisteuert. Respektiert alles Leben auf unserer Welt und geht auch miteinander respektvoll um. Wenn einer etwas nicht alleine bewältigen kann, dann macht es wie wir – helft einander. Versucht nicht ständig, Beherrscher der Erde zu sein, sondern seid liebevolle Bewohner, die Mutter Erde wertschätzen.
Vielen Dank, Anton, für diese weisen Worte. Hoffentlich werden wir noch viele Gespräche führen können.
Das werden wir bestimmt und es war mir ein ganz besonderes Vergnügen, dieses Interview mit euch im Namen von uns Ameisen zu führen. Wir hoffen, dass wir damit viele Menschen zum Nachdenken bringen.
Im Gespräch mit NATURZYT
Anton Ameise ist Kolonial-Koordinator des Ameisen Stammes auf der Redaktionsterrasse von NATURZYT. Neben seiner Hauptaufgabe der Gesamtkoordination arbeitet er auch aktiv mit. Es gibt bei den Ameisen immer viel zu tun und auch Fürhungsameisen packen immer tatkräftig mit an. Niemand ist besser oder schlechter - das Kollektiv ist entscheidend!
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NATURZYT Ausgabe März 2014, Text Virginia Knaus, Bild Virginia Knaus, Illustration Sandra Huguenin