Sie galten als blutrünstige Bestien, die den Jägern ihre Beute streitig machten, und wurden deshalb im 18. und 19. Jahrhundert in ganz Europa so gut wie ausgerottet.
Die Wildkatzen haben mit uns Menschen, wie zuvor Wolf, Luchs und Bär, keine guten Erfahrungen gemacht. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden sie fast ausgerottet, da ihnen angedichtet wurden, sie seien blutgierige Schädlinge, die Jungwild reissen und auch uns Menschen anfallen können. Es war fast zu spät, als bekannt wurde, dass sie harmlose Mäusejäger sind. Sie ist neben dem Luchs der zweite einheimische Katzenvertreter. Obwohl sie sehr niedlich aussehen, fast wie ein «Büsi», haben sie mit diesen aber nichts gemein.
Die europäische Wildkatze ist keine Hauskatze
Hauskatzen, wie wir sie kennen und gerne als verschmuste Stubentiger halten, stammen von den afrikanischen Falbkatzen ab. Diese suchten bereits als Wildtiere die Nähe zum Menschen und wurden so früh domestiziert. Die Römer brachten sie als Haustiere nach Europa. Die europäische Wildkatze (Felis silvestris) ist eine eigenständige Art – eine echte Europäerin, wie der Name schon aussagt. Sie ist ein scheues und heimisches Wildtier und begibt sich freiwillig nicht in die Nähe zum Menschen, daher ist eine Begegnung mit ihr ziemlich unwahrscheinlich. Ihr bevorzugter Lebensraum ist weit weg von der menschlichen Zivilisation und sie lebt als Einzelgängerin zurück gezogen im Wald. Daher wird sich auch gerne als «Waldkatze» bezeichnet. Selbst wenn man sie mit der Flasche aufziehen würde, werden sie niemals zahm. Sie anfassen oder streicheln würde eine Wildkatze niemals zulassen. Ganz im Gegenteil, fühlt sich sie sich bedroht, wird sie richtig wild und zu einer Furie. Und wenn sie dazu noch ihre Jungen verteidigt, kann das ziemlich blutig enden.
Im Gegensatz zur Hauskatze ist die Wildkatze etwas grösser und hat eine verwaschene Fellzeichnung auf gelblichgrauem Grundton, einen scharf gezeichneten, über den Rücken führenden Längsstrich (Alstrich), der stets am Schwanzansatz endet, und einen buschigen, gleichmässig dicken Schwanz. Das schwarze, stumpfe Schwanzende sowie drei bis vier deutliche schwarze Ringe davor sind wichtige Erkennungsmerkmale. Auch hat die Wildkatze vergleichsweise lange Ohren und Beine, was jedoch im Winter wegen des dichten, langhaarigen Fells nicht klar sichtbar ist. Der Nasenspiegel ist immer fleischfarben und die kräftigen, langen Schnurrhaare sind weiss sowie die Krallen hell.
Wildkatzen legen im Winter Gewicht zu
Das Sommergewicht liegt beim Weibchen zwischen 4 und 5 Kilogramm, bei den Katern zwischen 5 und 6 Kilogramm. Im Herbst bildet sich ein Winterfell mit sehr dichter Unterwolle und sie legen deutlich an Gewicht zu. Nämlich gut um die Hälfte gegenüber dem Sommergewicht, um den Winter gut zu überstehen. Als Landraubtiere ernähren sie sich ausschliesslich von Fleisch und ab und zu etwas Gras. Leise und in der Dämmerung liegen sie auf der Lauer, um dann blitzschnell die Beute zu ergreifen und mit einem gezielten Kehlbiss zu erlegen. Zu über 90 Prozent jagen resp. lauern sie auf Mäuse, vor allem Wühlmäuse. Gelegentlich kommen Vögel, Fische, Reptilien, Amphibien und Insekten hinzu und im Winter manchmal Fallwild. Sie legen keine Nahrungsvorräte an; kann ein grösseres Tier nicht auf einmal gegessen werden, wird es unter Laub und Zweigen versteckt. Und falls es die Qualität zulässt, frisst die Katze nochmals davon, denn sie vertragen nur absolut frisches Fleisch.
Wildkatzen sind absolute Einzelgänger und sehr standortgetreu. Wie bei den meisten Katzenarten grenzen die Streifgebiete der Weibchen sowie die der Kater aneinander und überlappen sich oft leicht, wobei ein Männchen- Streifgebiet die mehrerer Weibchen umfasst. Ob und wie sich Kater und Kätzin ausserhalb der Paarungszeit, abgesehen von gezielt gesetzten Duftmarken, begegnen, bleibt noch ein Geheimnis der scheuen Waldbewohner. Denn mit ihrem leistungsfähigen Sehvermögen und Gehör entdecken sie uns, bevor wir nur schon in der Nähe wären. Sie verhalten sich wahrscheinlich ähnlich wie Hauskatzen, wenn man sich kennt, begrüsst man sich mit einem «Nase-an-Nase»-Beriechen. Auch wurde beobachtet, wie sich ein Kater mehrere Tage in der Nähe der Partnerin und ihrer Jungen aufgehalten hat.
Wildkatzen während der Paarungszeit
Während der Paarungszeit zwischen Januar und März sind oft laute Rufe der Kätzin und des Katers zu hören, und spezielle Duftmarken signalisieren: «Ich bin da.» Nach einer durchschnittlichen Tragzeit von 68 Tagen werden in der Regel 3 bis 4 bereits behaarte, aber blinde Junge geboren. Erst nach 7 bis 11 Tagen öffnen diese ihre Augen und werden während dieser Zeit von der Kätzin gesäugt und beschützt. Mehrmals wechselt sie deshalb auch das Versteck in den ersten vier Wochen. Ab der vierten Lebenswoche erhalten die Jungen bereits tote Beutetiere und ab zirka 4 Monaten lebende, die sie selbst töten müssen, um gut vorbereitet zu sein, wenn sie nach knapp 5 Monaten selbständig die Mutterfamilie verlassen. Normalerweise zieht eine Wildkatze nur einen Wurf pro Jahr auf, ausser der Erstwurf geht verloren, dann kann bis im August noch ein zweiter folgen. Bei diesen Würfen werden jedoch maximal 2 Junge aufgezogen, damit die Mutterkatze trotz des Säugens Winterreserven aufbauen kann. Die Jungen hören auch im Herbst auf zu wachsen und legen Fettreserven an, was ihre Chance erhöht, den Winter zu überleben.
Für die Wildkatzen sind für die Jungenaufzucht, aber auch bei nasser Witterung und im Winter trockene und geschützte Verstecke lebensnotwendig. Auch wenn vielfach angenommen wurde, dass sie Felshöhlen bevorzugen, sind diese vor allem für die Jungen zu feucht und zu kalt. Bevorzuge Wohnräume sind hohle Baumstämme, Hohlräume unter Wurzeltellern von umgestürzten Bäumen und gelegentlich auch leere Fuchsbauten. Wildkatzen graben nicht selbst, und daher benutzen sie manchmal im Winter mit Fuchs und Dachs denselben Bau, wobei natürlich jeder in einem separaten Arm des Baues verweilt.
Wildkatzen und verwilderte Hauskatzen
Bevor die Wildkatze in der Schweiz verdrängt, verfolgt und ausgerottet wurde, lebte sie vor allem im Mitteland in grossen, zusammenhängenden und reich strukturierten Mischwäldern. Ein optimaler Lebensraum, welcher verloren gegangen ist. Die Alpen oder Voralpen waren nie ein bevorzugter Lebensraum, denn auf Höhenlagen über 1000 m ü. M. wohnt sie kaum. Denn der hier lange Winter mit anhaltender Schneedecke behindert die Jagd und Fortbewegung. Mittlerweile leben einzig im Jura auf knapp 600 Quadratkilometern etwa 450 bis 900 Tiere, wie eine Statistik des Bafu bestätigt. Hier finden sie noch optimalen Lebensraum. Von hier aus beginnt sie sich langsam wieder auszubreiten und trifft auch immer häufiger auf verwilderte Hauskatzen, welche vorsätzlich ausgesetzt wurden, weil man ihrer überdrüssig wurde.
Mit diesen, weil sie eng verwandt sind mit der Wildkatze, paart sie sich auch. Wissenschaftler vermuten, dass die Wildkatzen durch die genetische Vermischung lebenswichtige Fähigkeiten verlieren könnten. Neuste Untersuchungen zeigen, dass bereits etwa 20 Prozent der Wildkatzen mit Hauskatzen vermischt oder «hybridisiert» sind. Was genau das für die Wildkatze bedeutet, ob die Hybridisierung schädlich ist oder der Wildkatze vielleicht sogar nützt, ist jedoch noch nicht klar.
Wichtig ist wieder einmal mehr, dass es in der Verantwortung von uns allen liegt, nicht nur den Lebensraum für Wildtiere zu schützen und zu erhalten, sondern auch die Verantwortung für unsere Haustiere zu tragen und entsprechend zu handeln.
Der bevorzugte Lebensraum der Wildkatzen
Der bevorzugte Lebensraum sind strukturreiche Laub- und Mischwälder mit ausreichend Totholz sowie Baum- und Felshöhlen. Durch die immer stärkere Ausbreitung offener Ackerflächen wird es den Wildkatzen erschwert, neue Gebiete zu erschliessen, da Wanderkorridore mit Deckung durch Bäume und Sträucher zwischen den einzelnen Wald gebieten fehlen. Auch Querungshilfen im dichten Strassennetz fehlen weitgehend. Gerade in der Dämmerungszeit und in der Nacht werden Wildkatzen auf ihren Wanderungen zwischen den einzelnen Waldgebieten häufig überfahren, wenn sie die Strassen überqueren. Opfer sind meist Jungkatzen auf der Suche nach einem eigenen Revier.
Vielfach werden Jungtiere auch für ausgesetzte Hauskatzen gehalten und gut gemeint ins nächste Tierheim gebracht. Mit ihrer dunklen Streifenzeichnung auf ockerfarbenen Untergrund erinnern die Jungtiere stark an ähnlich gefärbte Hauskatzen. Diese Ähnlichkeit täuscht aber. Die typische Streifenzeichnung mit dunklem Aalstrich entlang der Wirbelsäule ist bei den jungen Wildkatzen noch ähnlich kontrastreich wie bei den getigerten Hauskatzen, bei den erwachsenen Wildkatzen wirkt dieser eher verwaschen. Auch der buschige Schwanz mit 2–3 dunklen Ringen und stumpfem Ende ist ein klarer Hinweis auf eine Wildkatze, welcher bei den jungen noch nicht ganz so ausgeprägt ist. Ein weiterer Hinweis ist die Farbe der Nase, welche bei Wildkatzen rosa oder fleischfarben ausgeprägt ist. Ausschlaggebend ist aber das Verhalten der Wildtiere, selbst die Jungen wehren sich in der Regel mit heftigem Knurren, Fauchen, Spucken und Beissen gegen die «Helfer». Spätestens jetzt heisst es «Finger weg». Meistens ist die Mutter auch ganz in der Nähe auf Nahrungssuche und kehrt in regelmässigen Abständen zum Nachwuchs zurück – aber erst, wenn keine Menschen mehr in der Nähe sind. Sollten Sie beim Spazieren auf junge Kätzchen stossen, welche diese Merkmale aufweisen, verhalten Sie sich bitte absolut ruhig und entfernen Sie sich rasch wieder aus dem Umfeld.
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NATURZYT Ausgabe September 2019, Text Michael Knaus, Fotos AdobeStock