Vor unserer Haustüre geht es wild zu und her: Der Siedlungsraum ist Heimat für viele Wildtiere wie Igel, Füchse, Wollbienen oder Distelfinken, die besonders in durchgrünten Wohnquartieren einen Lebensraum finden.
Grosse Artenvielfalt in der Stadt
Fuchs, Dachs und Eichhörnchen vermutet man eher im Wald als in der dicht bebauten und hektischen Stadt. Doch sobald es in der Stadt ruhiger wird und die Nacht den Tag ablöst, erwacht die Stadt zu neuem Leben. Dann kann man mit etwas Glück beobachten, wie ein Fuchs den parkierten Autos entlangschleicht, ein Igel durch ein Loch im Gartenzaun schlüpft oder ein Biber unter einer vielbefahrenen Brücke durchschwimmt. Entgegen den Erwartungen können Siedlungsräume und Städte wichtige Lebensräume für Wildtiere sein. So kommt etwa die Hälfte aller Schweizer Säugetier-, Vogel-, Amphibien- und Reptilienarten in Schweizer Städten vor. Insbesondere anpassungsfähige und tolerante Arten profitieren von den vielfältigen Lebensräumen in Siedlungen. Aber auch seltene Spezialisten können ihre Nische im menschlich geprägten Raum finden.
Wildtiere leben meist verborgen im Siedlungraum
Viele dieser Wildtiere bleiben uns Menschen die meiste Zeit verborgen, leben als unsere heimlichen Nachbarn in unserer Siedlung und nutzen in der Nacht dieselben Pfade und Abkürzungen wie wir Menschen am Tag. Bei Tageslicht suchen sich die oft dämmerungs- und nachtaktiven Wildtiere ein Versteck, beispielsweise unter einer breiten Hecke, hinter einem wilden Brombeergestrüpp oder sogar zwischen einem Baugerüst. Geschützt durch kleine Wildnis-Orte in der Stadt und von uns Menschen gerne übersehen, leben Wildtiere oft unentdeckt an unserer Seite. Meist weisen nur Pfotenabdrücke, umgefallene Mülltonnen oder Schleichwege auf ihre nächtlichen Aktivitäten hin.

Wildtiere waren schon immer in der Nähe menschlicher Siedlungen
Das Phänomen der Wildtiere in der Stadt ist keinesfalls neu: Wildtiere lebten schon immer in der Nähe menschlicher Siedlungen. Doch die Artenzusammensetzung verändert sich über die Zeit, wurde beeinflusst von der Städtebauweise und unseren kulturellen Angewohnheiten. So brüteten um 1800 viele Vögel in den Stadtmauern, Eidechsen, Steinmarder und Fledermäuse lebten in den Spalten und Dachstöcken der Häuser und profitierten von den Miststöcken und den dadurch angelockten Insekten, die überall in der Stadt vorhanden waren. Mit dem Verschwinden des Viehs aus der Stadt verschwanden auch die Schwalben, welche auf Nahrung in der Nähe des Nistplatzes angewiesen sind. Dafür zogen Segler in die Nistmöglichkeiten der Häuser ein, da sie im freien Luftraum jagen konnten. So unterliegt die Stadt einem steten Wandel: die Amsel wie auch der Fuchs, beide einst scheue Waldbewohner, wurden zu Städtern, und auch der Dachs findet man immer mehr im Siedlungsraum.

Von Stadt- und Landfüchsen
Füchse fühlen sich schon seit Jahrzehnten in unseren Städten und Agglomerationen wohl, denn sie finden in der Stadt viele Versteckmöglichkeiten und ausreichend Nahrung. Heutzutage gibt es Füchse in der Stadt, welche den Wald noch nie von Nahem gesehen haben und ihr komplettes Leben im urbanen Raum verbringen. Mittlerweile kann man Stadtfüchse sogar genetisch und in ihrem Erscheinungsbild von Füchsen auf dem Land unterscheiden. So hat sich bereits die Form der Schnauze an die städtische Nahrung angepasst hat: Stadtfüchse haben eine kürzere und kräftigere Schnauze als Füchse auf dem Land, welche für die Mäusejagd eine lange Schnauze benötigen. Doch obwohl mittlerweile viele Füchse in Schweizer Städte leben, trifft man die intelligenten und anpassungsfähigen Tiere nur selten an. Vielleicht kreuzen sich die Wege per Zufall in den späten Abendstunden oder man erhascht im Dunkeln einen Blick durchs Fenster auf einen vorbeischleichenden Fuchs. Wenn sich jedoch ein Fuchsbau in der Nähe befindet, kann durchaus auch mal ein verschwundener Schuh auf die Anwesenheit von verspielten Jungfüchsen hindeuten.

Der Igelrückgang ist ein alarmierendes Zeichen
Auch für Igel stellt der Siedlungsraum einen wertvollen Lebensraum dar, insbesondere bei einem hohen Anteil an zugänglichen Grünflächen, Parkanlagen und naturnahen Gärten. Vor 100 Jahren waren Igel in einer offenen, vielfältigen Kulturlandschaft zu Hause. Mit der Intensivierung der Landwirtschaft und dem Verlust an Strukturen wurden Igel in diesen Lebensräumen immer seltener. Im Gegenzug konnte man Igel häufiger im Siedlungsraum antreffen, wo sie in durchgrünten Wohnquartieren neue Lebensräume fanden. Heute leben mehr Igel in Siedlungen und Städten als im landwirtschaft lich geprägten Raum. In den letzten Jahren mehrten sich jedoch die Hinweise, dass die Igelpopulation in der Schweiz auch in Siedlungen weiter abnimmt. Die bauliche Verdichtung, der Verlust an wertvollen Grünflächen und der zunehmende Verkehr scheinen dem Igel zu schaden. Untersuchungen zum Vorkommen des Igels aus der Stadt Zürich zeigen sogar eine alarmierende Abnahme von 40% in den letzten zwanzig Jahren.

Igel lieben es richtig wild im Garten
Damit Igel im Siedlungsraum weiterhin einen Lebensraum finden, sind der Erhalt und die Aufwertung von Grünflächen wichtig. In einem Garten kann viel für die kleinen Stacheltiere getan werden: Versteckmöglichkeiten und strukturgebende Elemente wie Hecken, Astoder Laubhaufen werden von Igeln sehr gerne angenommen. Wenn in einem Garten eine Ecke etwas wilder sein darf, bietet dies neben Schutz auch eine Nahrungsquelle. Denn Igel sind als Insektenfresser auf Käfer, Würmer und Schnecken angewiesen. Insekten fördert man beispielsweise mit Totholz, einheimischen Wildstauden und Blühstreifen, welche gestaffelt geschnitten und ohne Gifteinsatz gepflegt werden. Wenn im Herbst nicht alles Laub und Schnittgut auf- und weggeräumt wird, profitieren neben dem Igel auch viele weitere Wildtierarten wie Wildbienen, Spitzmäuse oder Vögel.

Mitforschen und Igelbeobachtungen melden
Nach dem Konzept «Viele Augen sehen mehr als zwei» möchte die Meldeplattform «Wilde Nachbarn» (bzw. «StadtWildTiere » in Städten) Wildtierbeobachtungen sammeln. Die Bevölkerung kann mitforschen, indem sie Wildtierbeobachtungen einträgt und somit Informationen über das Vorkommen von Wildtieren im Siedlungsraum dokumentiert. Ein Hauptaugenmerk liegt in diesem Jahr auf dem Igel. In verschiedenen Regionen der Schweiz wird erforscht, wie sich die Verbreitung des Igels räumlich unterscheidet. Eine zentrale Frage der Forschenden sind die Gründe, weshalb Igel in bestimmten Gebieten seltener werden, und wie diese Entwicklung aufgehalten werden kann. In Basel, Thurgau, der Region Zimmerberg und der Stadt Zürich werden zusätzlich mit der Hilfe von Freiwilligen Spurentunnel aufgestellt, um Igel anhand ihrer Fussabdrücke nachzuweisen. Wer gerne mitmachen möchte, kann sich bei
Verein StadtNatur
Der Verein StadtNatur besteht seit 2013 mit dem Ziel, die Natur in Siedlungsräumen sichtbar zu machen, zu schützen und zu fördern. Viele Menschen sind sich nicht bewusst, wie lebendig es vor ihrer Haustüre zu und her geht. Das möchte der Verein ändern, denn wer die Vielfalt an Wildtieren im Siedlungsraum nicht kennt, kann sie auch nicht schützen. Im Gegenteil: Solche Wissenslücken führen dazu, dass immer mehr Lebensräume von Wildtieren zerstört werden. Mit den Projekten «StadtWildTiere » und «Wilde Nachbarn» werden gemeinsam mit der Bevölkerung Wildtierbeobachtungen gesammelt, um die Wildtiere im Siedlungsraum sichtbar zu machen und deren Verbreitung zu erforschen. Zusätzlich werden in vielen Regionen der Schweiz Exkursionen, Schulprojekte und Forschungsarbeiten durchgeführt, bei denen sich die Bevölkerung aktiv beteiligen kann. Durch eine enge Zusammenarbeit mit Behörden fliessen die Erkenntnisse in die Stadtplanung mit ein, damit Eichhörnchen, Igel, Wildbienen und Co. auch in Zukunft einen Platz in unseren Dörfern und Städten haben.
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