Von der behäbigen Höhlenbewohnerin über die putzige Weitspringerin bis zur begabten Weberin – in der Welt der Spinnen ist alles vertreten. Spinnen sind weit mehr als nette Mitbewohnerinnen. Es lohnt sich, sie näher kennen zulernen.
Spinnen machen es uns nicht leicht: Mit ihren acht Beinen und sechs bis acht Augen zählen sie nur für wenige Menschen zu den possierlichen Tieren. Zudem fangen sie ihre Beute scheinbar heimtückisch in Netzen und töten häufig durch Gift. Immer wieder hat man den Spinnen auch üble oder gar teuflische Eigenschaften anzuhängen versucht. Solche Projektionen nutzte beispielsweise Jeremias Gotthelf 1842, in dessen grusliger Novelle «Die Schwarze Spinne» der Teufel in Gestalt einer Spinne Verderben über ein Dorf bringt. So ist die Spinne durch ihr sonderbares Aussehen und ihre flinken Bewegungen mit der Zeit zum vermeintlich hinterhältigen Ekelwesen geworden. Nicht besser wird die Sache dadurch, dass der moderne Mensch weit weniger Kontakt mit Spinnen hat als unsere bäuerlich lebenden Vorfahren, die sie tagtäglich in Ställen oder in Feld und Flur beobachten konnten.
Denn auch bei den Spinnen gilt: Man fürchtet das am meisten, was man nicht kennt. Genaueres Hinsehen lohnt sich daher, denn Spinnen sind bei näherer Betrachtung interessante Tiere, über die man im Grunde wenig weiss und über die es eine Menge herauszufinden gibt. Allein über die Anzahl an Arten weltweit kann nur spekuliert werden – 45 000 Arten kennt man. Knapp 1000 davon sind hierzulande heimisch. Und es werden zunehmend mehr: In der Schweiz werden regelmässig Arten entdeckt, die aufgrund der Klimaerwärmung und Globalisierung neu zugewandert sind.
Spinnen haben einen zweigeteilten Körper
Spinnen haben einen zweigeteilten Körper; Kopf und Brust sind miteinander verwachsen. Daran schliesst sich der Hinterleib an. Das Kopf-Brust-Stück trägt meist acht Augen, zwei Paar Kieferklauen und acht Beine. Die Waffen der Spinnen sind ihre beiden beweglichen Kieferklauen mit Giftdrüsen. Beisst eine Spinne zu, lähmt das Gift ihr Opfer. Trotz ihrer vielen Augen können die meisten Spinnen höchstens hell und dunkel unterscheiden. Nur Spinnen, die ohne Netz Beute jagen, sehen besser. Ein bekanntes Beispiel aus unseren Breiten ist die Zebraspringspinne.
Als einzige Tiergruppe sind Spinnen in der Lage, einen feinen und doch stabilen Faden zu weben. Spinnenseide hat viele faszinierende und für die technische Anwendung interessante Eigenschaften: enorme Elastizität bei gleichzeitiger hoher Reissfestigkeit. Entsprechend hoch sind die Bemühungen der Forschung, dem Geheimnis dieses Materials auf den Grund zu gehen, allerdings nur mit mässigem Erfolg. Bis heute ist es nicht gelungen, Spinnenseide künstlich herzustellen.
Das Spinnennetz wird regelmässig geflickt
Zu den besonders begabten Weberinnen im Reich der Arachnida gehören die Radnetzspinnen, zu der etwa auch die Gartenkreuzspinne zählt. Sie gehört zu den wenigen ihrer Art, die mitten im Netz auf Beute lauern. Die meisten Radnetzspinnen hocken ausserhalb des Netzes am Ende des so genannten Signalfadens. Dieser verläuft mittig vom Zentrum zu einem Schlupfwinkel ausserhalb des Netzes. Spürt die Spinne durch Erschütterungen des Signalfadens, dass ein Beutetier in ihr Netz geflogen ist, verlässt sie schnell ihren Schlupfwinkel und gelangt entlang des Signalfadens ins Zentrum ihres Netzes. Spinnennetze sind äusserst effizient aufgebaut. Um Energie zu sparen, werden nur die Fangfäden in der Mitte mit Leim beschichtet. Die Fangspirale ist zudem genau der Grösse der Beutetiere angepasst: Je kleiner die Beute, umso eng maschiger weben Radnetzspinnen das Zentrum. Das Netz wird regelmässig geflickt, je nach Art aber auch täglich erneuert. Spinnen haben das Recycling dabei längst für sich entdeckt, denn sie fressen ihr altes Netz einfach auf.
Dank ihres Netzes machen Spinnen reiche Beute. Eine kürzlich durchgeführte Untersuchung hat aufgezeigt, dass die zur Familie der Radnetzspinnen zählenden Wespenspinnen während einer Saison allein auf einem Hektar Wiese 80 Kilogramm Insekten fingen. Man geht davon aus, dass Spinnen ebenso viel Insekten vertilgen wie Vögel.
Spinnen ergreifen regelmässig die Flucht
Zu den geschickten Weberinnen zählt auch die Hauswinkelspinne. Sie baut ausgeklügelte Trichternetze – gerne an ungestörten Stellen im Haus wie zum Beispiel im Keller. Die nachtaktive Spinne, deren Weibchen bis zu zwei Zentimeter gross werden, nutzt ihr Trichternetz als Basis: Im Trichterrohr versteckt lauert sie auf Beute, die sich auf dem Netzteppich verheddert. Wie die Radnetzspinnen verlässt sich auch die Hauswinkelspinne ganz auf ihre taktile Empfindung und spürt jede feine Erschütterung mit Organen an den Füssen. Deshalb muss, wer sie länger beobachten möchte, Geduld haben. Allenfalls kann man sie auch mit einem Grashalm aus ihrem Trichter locken.
Zwar verirren sich Hauswinkelspinnen ab und an in Badewannen oder Lavabos, woraus sie aufgrund der glatten Flächen nicht mehr fliehen können. Ansonsten bekommt man die Hauswinkelspinne aber selten zu Gesicht, denn sie zeigt wie alle Spinnen ein ausgeprägtes Fluchtverhalten. Auch wenn die Hauswinkelspinne grosse, kräftige Klauen besitzt, zählt sie nicht zu den rund 20 einheimischen Arten, die fähig sind, durch die menschliche Haut zu beissen. Grundsätzlich muss man sich jedoch vor Spinnen nicht fürchten, denn es kommt selten vor, dass sie zubeissen. Beim Biss wird selten Gift verschwendet, da Menschen nicht in das Beuteschema passen und die Produktion des Gifts aufwändig ist. Zudem sind in der Schweiz einheimische Spinnenarten für uns Menschen nicht gefährlich.
Die Hauswinkelspinne kann bis zu sieben Jahre alt werden
Die Hauswinkelspinne ist eine der wenigen einheimischen Spinnenarten, die mehrjährig sind – sie wird bis zu sieben Jahre alt. Andere Arten überleben meist nur ein Jahr. Dazu zählt auch die in ganz Europa verbreitete Listspinne, die in «vernachlässigten» Gartenecken oder an naturbelassenen Wegrändern beobachtet werden kann. Ihren Namen hat sie aufgrund ihres interessanten Paarungsverhaltens. Da Spinnen neben Insekten auch gerne Artgenossen fressen, müssen die Männchen während der Paarungszeit entsprechend vorsichtig vorgehen. Das Listspinnen-Männchen präsentiert seiner Auserwählten deshalb ein Brautgeschenk in Form eines eingewickelten Insekts. Während die Angebetete die Beute aussaugt und somit abgelenkt ist, kann das Männchen sie in aller Ruhe begatten, ohne Kopf und Kragen zu riskieren. Das Ritual des Schenkens hat sich zum Teil verselbstständigt: Einige Männchen versuchen nach dem Geschlechtsakt, ihr Brautgeschenk wieder mitzunehmen, um beim nächsten Weibchen zu punkten.
Während das Listspinnen-Männchen weiter auf Freiersfüssen wandelt, kümmert sich das Weibchen um die Jungmannschaft . Es trägt die mehr als hundert Eier in einem Kokon in seinen Gift klauen ständig herum und kann deshalb während dieser Zeit keine Nahrung aufnehmen. Nach einigen Wochen spinnt es zwischen Pflanzenstängeln ein grosses Glockengewebe und hängt den Eikokon darin auf. Diese «Puppenstube» mit den geschlüpften Jungspinnen wird vom Weibchen durchgehend bewacht. Tippt man das Gespinst leicht an, kann man beobachten, wie das Weibchen seine Brut verteidigt.
Wolfspinnen kümmern sich liebevoll um ihren Nachwuchs
Auch Wolfspinnen kümmern sich hingebungsvoll um ihren Nachwuchs. Diese typischen Bodenbewohner erbeuten Insekten nicht durch Fangnetze, sondern lauern ihnen auf. Besonders interessant ist ihr Paarungsverhalten: Auch hier muss das Männchen mit Bedacht vorgehen und seine Absichten deutlich kundtun, um nicht mit möglicher Beute verwechselt zu werden. Dazu nähert sich das Männchen vorsichtig dem Weibchen, welches zur Paarungszeit häufig auf kleinen Büschen anzutreffen ist. Das Männchen bewegt nun sehr schnell seine Taster, um das Weibchen zur Paarung zu bewegen und sich zugleich gefahrlos nähern zu können. Zur Kommunikation nutzt das Männchen verschiedene Klopfgeräusche und vollführt winkende Bewegungen nach einem festen Muster. Jede Art hat ein eigenes Muster, also einen arttypischen Liebestanz.
Ist die Paarung gelungen, trägt die Wolfspinnen-Mutter den Eikokon an die Spinnwarze am Hinterleib geheftet mit sich herum. Die intensive Brutpflege beginnt jedoch, wenn der Nachwuchs geschlüpft ist. Die hundert kleinen Spinnen klettern nach dem Schlüpfen sofort auf den Rücken ihrer Mutter und werden von ihr bis zur nächsten Häutung herumgetragen und gefüttert.
Die Lebensweise von Spinnen sind vielfältig
Auch wenn Spinnen auf lange Sicht nicht zum persönlichen Lieblingstier werden, kann man zumindest versuchen, einträchtig mit ihnen zu leben. Die Lebensweise von Spinnen ist unglaublich vielfältig, weshalb es schön wäre, wenn man ihnen mehr Respekt und Beachtung zollen würde. Statt sie gleich mit dem Staubsauger zu entfernen, wenn man sie im Haus entdeckt – was übrigens ihren sicheren Tod bedeutet –, darf man ruhig einmal einen zweiten Blick riskieren und ihre Schönheit bewundern. Vielleicht schafft man es dadurch, die eigene Angst nicht auf das Kind zu übertragen, denn die Abneigung vor Spinnen ist oft nur anerzogen und selten eine echte Phobie.
«Bungee Jumping» von der Tischkante
Die Zebraspringspinne, die man an sonnigen, warmen Orten findet, zählt zu den wenigen Arten, die sich nicht allein auf ihre taktile Empfindung verlässt. Während ihre übrigen sechs Augen fast nur schemenhaft Bewegungen wahrnehmen können, sind die grossen vorderen Mittelaugen äusserst leistungsstark: Damit kann die kleine Spinne nicht nur Objekte bis auf eine Distanz von etwa 20 Zentimetern genau erkennen, sondern auch die Entfernung abschätzen. Dazu bewegt sie nicht wie wir Menschen die Augen, sondern verändert mit Muskelkraft die Brennweite der Augenlinsen. Aus dieser Veränderung bis zur Scharfstellung des Bildes kann die Spinne die Distanz berechnen. Bei der putzigen Zebraspringspinne, die nur rund einen halben Zentimeter misst, ist der Name Programm: Ihre Schuppenhaare bilden ein schwarzweiss gebändertes, zartes Kleid und sie vollbringt im Weitsprung wahre Höchstleistungen.

Sicherheitsline für brenzlige Situationen
Sie kann über ihre 20fache Körpergrösse weit springen, um sich ihre Beute zu schnappen. Diesen Umstand kann man nutzen, um ein wenig mit ihr zu spielen: Hält man einen kleinen Gegenstand oder den Finger zehn bis zwanzig Zentimeter vor das Tierchen und bewegt ihn seitwärts, so wird die Spinne ihren Vorderkörper immer danach ausrichten, da sie ihre Augen nicht bewegen kann. Um sich bei ihren waghalsigen Sprüngen nicht das Genick zu brechen, spinnt sich die Zebraspringspinne fortwährend eine Sicherheitsleine. Vor jedem Präzisionssprung heftet sich die Spinne rasch mit einem Faden auf der Absprungfläche an. Sollte aus irgendeinem Grund der Sprung ins Leere führen, kann sie sich an diesem Faden wieder zum Ausgangspunkt zurückangeln. Eine unglaubliche Leistung, denn die Seide für den Faden ist im Körper noch flüssig. Die Zebraspringspinne produziert also innerhalb von Millisekunden einen festen Faden, denn sie auf der Absprungfläche verankert. Wenn man die Zebraspringspinne an den Rand eines Fenstersims oder einer Tischkante lockt, kann man das «Bungee Jumping» bestens beobachten.
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