Steile verschneite Felswände im Frümseltal im Winter

Aussichtsreiche Gipfel und Passübergänge, einsame Hochtäler, weit geschwungene Alpen, geheimnisvolle Moorlandschaften und Wälder – das Toggenburg ist wie geschaffen, um auf Schneeschuhen entdeckt zu werden. Der Säntis, die Churfirsten und der Toggenburger Riese stehen dabei Spalier.

Zwei Dinge fallen auf, wenn man zum ersten Mal von Wattwil Richtung Wildhaus fährt, ins Herz des Toggenburgs. Es sind zum einen die felsigen Trutzburgen des Alpstein-Massivs mit dem 2500 Meter hohen Säntis im Zentrum sowie die unverwechselbaren Zacken der sieben Churfirsten auf der gegenüberliegenden Talseite. Zum anderen scheint das Toggenburg aus einer Ansammlung wild verstreuter Häuser und Höfe zu bestehen. Das hat seinen Grund, wie ein Blick in die Toggenburger Sagenwelt verrät.

Einst war das Tal nämlich menschenleer, nur ein Riese wohnte am Fusse des Säntis. Weil er sich einsam fühlte, beschloss er, eine Stadt zu bauen. Menschen sollten sich hier niederlassen und ein wenig Leben ins Tal bringen. Bei seinen Freunden, den Zwergen im nahe gelegenen Montafon, liess er deshalb all die Dinge bauen, die Menschen zum Leben brauchen, und packte sie in einen grossen Sack. Doch just als er bei Wildhaus um die Ecke bog, schlitzte eine Felskante seinen Sack auf. Häuser, Höfe, Speicher und Fuhrwerke wirbelten wie Schneeflocken herum und verstreuten sich über alle Hänge, in jedes Tobel und bis auf den Talgrund. Der Riese erschrak ob der grossen Unordnung und wollte aufräumen. Doch vom Schlaf übermannt, ruhte er sich erst einmal aus. Als er viele Jahre später aufwachte, herrschte zu seinem Erstaunen rege Betriebsamkeit im Tal. So ist es bis heute geblieben, und die weit verstreuten Häuser und Höfe prägen zusammen mit dem Alpstein und den Churfirsten die wunderbare Kulisse, die dem Schneeschuhwanderer auf Schritt und Tritt begegnet.

Tanzen auf dem Tanzboden

Die erste Tour, die einem das Toggenburg näherbringt, führt auf den Tanzboden. Wie der Berg zu seinem Namen gekommen ist, ist zwar ein Rätsel, doch wer bei guter Fernsicht auf dem Gipfel steht, könnte tanzen vor Freude. Vom Zürichsee über die Glarner Alpen und dem höchsten Schweizer Nagelfluhberg, dem Speer, bis zum Bodensee reicht das Panorama. Und gleich unter dem Gipfel wartet das Bergbeizli auf hungrige Besucher. Der hausgemachte Kartoffelsalat oder das Käsefondue (auf Vorbestellung) sind legendär, an Gemütlichkeit ist die urige Gaststube mit dem Kachelofen kaum zu übertreffen. Dass es sich auf dem Tanzboden gut leben lässt, hat sich herumgesprochen – alleine ist man hier oben selten, selbst bei Schneesturm.

Kreuz und Wanderer auf dem Tanzboden im Winter
Kleiner Gipfel, grosses Panorama, feines Fondue - der Tanzboden.

In wildreichem Gebiet

Wer in Ebnat-Kappel startet, hat 800 Höhenmeter vor sich; die Route führt abwechslungs- und aussichtsreich über Alpweiden und durch Wälder bis auf den 1450 Meter hohen Gipfel. Eine Spur ist meist angelegt, doch wer sich gleich nach grösseren Schneefällen aufmacht, muss sich sein Fondue im Tiefschnee schwer verdienen. Dafür lassen sich an solchen Tagen viele Tierspuren beobachten; die Route führt durch Wildruhezonen, in denen man auf den Wegen bleiben muss. Der Rückweg folgt einer weiten Schleife und ist ein einziger Genuss. Bis zur Alp Oberbächen hat man das ganze Panorama im Blickfeld, dann geht es stetig bergab, vorbei an Höfen und durch Moorlandschaften in fast direkter Linie zurück zum Bahnhof Ebnat-Kappel.

Säntiswände zum greifen nah

Den mächtigen Felswänden des Alpsteins bedeutend näher kommt man auf der Tour über den Risipass; schon fast bedrohlich erheben sie sich über den Weiden der Säntisalp. Wer eine ausgedehnte Wanderung ins Auge fasst, startet auf der Schwägalp. Kürzer ist es von der Postautohaltestelle Bernerhalden aus.

Diesen Weg schlägt man auch bei heikler Lawinensituation ein, wenn von den steilen Flanken Rutsche drohen. Vor dem Start auf der Schwägalp lohnt sich der Besuch in der warmen Gaststube – es ist die letzte Einkehrmöglichkeit bis nach Stein. Die weitläufigen Moor- und Weidegebiete der Säntisalp und der Lütisalp hat man im Winter fast für sich, erst kurz vor dem Risipass stösst man auf die Skitüreler, die den nahen Stockberg anpeilen. Der Aufstieg liegt lange im Schatten, dafür sind die Schnee- und Geländeverhältnisse perfekt, um eine eigene Spur zu ziehen und nach und nach an Höhe zu gewinnen. Oben angekommen, lacht einem die Sonne entgegen, und auf dem breiten Passübergang findet jeder ein Plätzchen für seine Mittagsrast. Während des langen Abstiegs bleibt dem Wanderer die Sonne erhalten, und mit grossen Schneeschuhschritten kommt Stein näher, das erste Dorf im oberen Toggenburg.

Schneebedeckte Wiesen mit Tannen vor den Säntisalpen
Ein Eldorado für Schneeschuhläuferinnen und -läufer: die Säntisalpen. Den steilen Säntiswänden entlang geht es durch wunderbares Schneeschuhgelände dem Risipass entgegen.

Panoramabalkon zum Glarnerland

Auf Tuchfühlung mit den Churfirsten bringt einen schliesslich die Tour ins Frümseltal. Ausgangspunkt ist die Alp Selamatt, Bergstation der Kägi-Fret-Bahn von Alt St. Johann. Die leckere Waffel aus dem Toggenburg ist beste Tourenverpflegung für einen Energieschub zwischendurch. Kaum ausgestiegen, rücken sie auch schon ins Blickfeld: Chäserrugg, Hinderrugg, Schibenstoll, Zuestoll, Brisi, Frümsel und Selun heissen die sieben Churfirsten von links nach rechts. Die mächtige Brisi, auf die man zusteuert, flösst ganz schön Respekt ein. Zu Beginn steigt der Weg durch lichten Wald gemächlich an. Ab der Alp Brisizimmer nimmt er deutlich alpinere Züge an. Man folgt den Spuren bis an den felsigen Fuss der Brisi, hält dann rechts und steigt ins weite Frümseltal. Welch ein Anblick! Links und rechts die imposanten Wände von Brisi und Frümsel, geradeaus ein alpines Hochtal, das ins Nichts zu führen scheint.

Unter den wachsamen Augen des Riesen?

So ist es auch. Auf 2045 Metern endet der Aufstieg jäh an der Felskante. Man steht mitten in der Churfirsten-Steilwand, vor einem breiten sich die Glarner Alpen aus, 1600 Meter weiter unten grüsst der Walensee. Zurück gibt es, das ist klar, nur denselben Weg. Der Säntis ist einmal mehr stiller Wegbegleiter. Oder ist es vielleicht doch der Riese? Der Sage nach wohnt er noch immer im Tal, überwachsen zwar mit Wald und Moos, aber zufrieden über sein gelungenes Werk und das beschauliche Leben im Toggenburg.

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NATURZYT Ausgabe Dezember 2014, Text/Fotos Daniel Fleuti

 

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