Baum auf dem Klus von Moutier im Herbst

Mal kraxelt man in der Schlucht, mal zieht man über Juraweiden; und wagt man den Tiefblick in die Klus von Moutier, fällt einem fast das Herz in die Hose. Eine Wanderung auf den Mont Raimeux ist bestimmt nicht langweilig.

22 Minuten dauert die Reise mit dem roten Zug von Solothurn in den Berner Jura. 22 Minuten, während denen sich die Welt grundlegend ändert. Pulsiert zu Beginn das pralle Mitteland-Leben vor dem Zugfenster, spuckt einem die Bahn nach dem Weissenstein-Tunnel im Niemandsland aus. Steile Kalkwände, enge Klusen und im Spätherbst goldene Wälder dominieren die Szene, im Talgrund ducken sich vergessen wirkende Dörfer und Höfe. In Corcelles BE, mit Halt auf Verlangen, entlässt uns die Bahn in die jurassische Wildnis. Still ist es hier zwischen Oberdörferberg und Mont Raimeux – und kalt. Über den Baumwipfeln wabern Nebelfetzen, eine leichte Bise mahnt dazu, die Mütze aufzusetzen. Das Dorf hat man schnell gesehen: Gut 200 Einwohner zählt die bäuerlich geprägte Gemeinde, im Ortskern passiert man eine Handvoll stattlicher und liebevoll gepflegter Bauernhäuser nebst einem ebensolchen Dorfgasthaus.

Bergbach mitten im Herbstwald im Gore Virat
Klein, aber traumhaft schön: Der Gore Virat in der gleichnamigen Schlucht bahnt sich seinen Weg.

In der Falllinie der Schlucht Gore Virat

Die Hauptattraktion von Corcelles aus der Sicht des Wanderers ist die Schlucht Gore Virat. Sie bringt uns auf den 450 Meter höher gelegenen Mont Raimeux mit seinem weitläufigen Gipfelplateau und dem abenteuerlichen Beobachtungsturm. Bis es so weit ist, steht ein knackiger Aufstieg bevor: Der Weg folgt mehr oder weniger der Falllinie, und die Nordflanke des Mont Raimeux ist ausgesprochen steil. Entschädigt wird man für die eineinhalb Stunden Anstrengung mit einer traumhaften Landschaft.

Herbstwald mit Wanderweg auf dem Mont Raimeux
Herbstlicht für die Seele im Abstieg von Mont Raimeux Richtung Moutier.

Die Schlucht Gore Virat gehört zum Waldreservat Raimeux, der Wald wird seit 2005 sich selbst über- lassen und entwickelt sich zum Urwald. Genauso sieht er aus. Dicht an dicht krallen sich Buchen, Ahorne und Eichen in die steilen Flanken, ab und zu lässt ein Sonnenstrahl ihr Blätterdach erstrahlen. Moosbewachsene Felsen säumen den Weg, der über so manche Treppe und Stufe in die Höhe führt. Der Star der Schlucht ist indes der wilde Bergbach. In mehreren Wasserfällen stürzt der Gore Virat zu Tal und fasziniert mit seinem lebendigen Spiel. Nach dem Einstieg überquert man das tosende Wasser auf einer grosszügigen, praktisch neuen Holzbrücke. Die alte wurde im Winter 2013 schwer beschädigt. Also packten rund 30 Freiwillige an, und bald schon konnten die Wanderer die Schlucht wieder sicher begehen.

Betonturm aus dem ersten Weltkrieg auf dem Mont Raimeux

Auf dem Mont Raimeux angelangt, nimmt die Wildnis ein abruptes Ende. Raimeux de Crémines heisst der Weiler, der uns die Zivilisation zurück und im Berggasthaus dem Magen etwas Warmes bringt. Wer lieber aufs eigene Picknick setzt, fi ndet kurz zuvor Tische, Bänke und eine luft ige Aussichtsplattform. Weit unten warten Corcelles, Crémines und Grandval immer noch auf die im Wetterbericht angekündigte Sonne, und auch der gegenüberliegende Oberdörferberg hüllt sich in Wolken.

Aussichtsturm im Herbst auf dem Mont Raimeux
Eine eigentümliche Konstruktion, der Aussichtsturm aus dem Ersten Weltkrieg auf dem Mont Raimeux.

Dem Wandergenuss über den Mont Raimeux tut das launische Jura-Herbstwetter keinen Abbruch. Im Gegenteil. Fast schon mystisch mutet der Weiterweg über das ausgedehnte Hochplateau an. Die weitläufigen Viehweiden sind durchsetzt mit Steinmauern und wettergegerbten Fichten, Kühe und Pferde fühlen sich hier oben wohl. Obwohl der Höhenrücken des Mont Raimeux sich über mehrere Kilometer erstreckt, folgt irgendwann so etwas wie ein Gipfel, und wir stehen auf dem höchsten Punkt, 1302 Meter über Meer, exakt auf der Grenze der Kantone Jura und Bern. Wer noch höher hinaus will, wagt sich an den Aufstieg auf den Beobachtungsturm, eine Betonkonstruktion aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, zu erklimmen über eine steile Eisenleiter und einen Durchschlupf. Für Lagerfeuerromantiker warten unten eine Feuerstelle, Sitzbänke und Tische.

Weidentor und grüne Wiesen im Jura
Platz so viel man will: Im Spätherbst gehören die Juraweiden den Wanderen.

Schöne Juraweiden mit Bäumen und Wald

Die baum- und walddurchsetzten Juraweiden bleiben uns im Abstieg nach dem bald jurassischen Moutier treu, unterbrochen von einem kurzen Abschnitt auf der Krete des Arête du Raimeux, von wo aus sich ein erster Blick in die Klus von Moutier erhaschen lässt. Richtig beklemmend wird der Tiefblick dort, wo der Weg von der Naturstrasse weg in den Wald eintaucht: Rund 350 Meter senkrechte Felswand tun sich vor den Schuhspitzen auf, je nachdem, wie weit man sich an die Steilkante vorwagt. Mit deutlich weniger Herzklopfen lässt sich die Schlucht auf den beiden Sitzbänken geniessen, die ein wenig abseits des Wegs zur Rast einladen. Weit unten ist bereits der Bahnhof Moutier mit dem kleinen roten Zug auszumachen, der die müden Wanderer eine knappe Stunde später ins pulsierende Mittelland zurückbringen wird.

Tipps und Informationen zur Wanderung auf dem Mont Raimeux

Anreise: Mit dem Zug über Moutier oder Solothurn nach Corcelles BE. Zurück ab Moutier mit Zugsverbindungen nach Solothurn oder Biel. Das Auto parkiert man am besten in Moutier.
Wanderung: Corcelles BE – Gore Virat – Raimeux de Crémines –Sur le Golat – Mont Raimeux – Raimeux de Grandval – Les Maisonettes– Punkt 845 (Aussicht in die Klus von Moutier) – Moutier
Anforderungen: Insgesamt bietet die Wanderung keine speziellen Herausforderungen. Der Weg durch die Schlucht von Gore Virat ist allerdings steil, etwas rutschig und erfordert sicheren Tritt und gutes Schuhwerk. Der Weg ist bestens angelegt und markiert. Einfacher ist der Aufstieg von Grandval durch die Combe des Geais direkt nach Raimeux de Grandval. Die Wanderzeit beträgt ohne Pausen rund 4,5 Stunden.
Einkehr: In Raimeux de Crémines (ausser Mittwoch und Donnerstag) und am Wochenende in der SAC-Hütte bei Raimeux de Grandval.
Karten: Swisstopo-Wanderkarte 1:50‘000 Blatt Delémont (223T) oder Swisstopo-Landeskarte 1:25‘000 Blatt Moutier (1106).

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NATURZYT Ausgabe September 2017, Text, Fotos Daniel Fleuti

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